Preise für Konsensfilme und Radikales aus Dänemark

30. September 2007
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Vertretbar ist die Vergabe der Hauptpreise des 55. Filmfestivals von San Sebastian an Wayne Wangs "A Thousand Years of Good Prayers" und Hana Makhmalbafs "Buddha Collapsed Out of Shame". Auf Menschlichkeit legte die von Paul Auster geleitete Jury offensichtlich Wert. Dass folglich David Cronenberg, dessen beinharter Thriller "Eastern Promises" wohl der beste Film des Festivals war, leer ausging, kann kaum verwundern.

Da neben Cronenbergs Film das große Meisterwerk im Wettbewerbsprogramm fehlte, ist die Entscheidung der Jury durchaus vertretbar. In einem Wettbewerb, in dem die absoluten Tiefschläge ebenso fehlten wie glanzvolle Höhepunkte trugen mit Wayne Wangs "A Thousand Years of Good Prayers", dem mit der Goldenen Muschel der Hauptpreis des Festivals zugesprochen wurde, und Hana Makmalbafs "Buddha Collapsed Out of Shame", der mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, zwei typische Konsensfilme, die keinem weh tun, den Sieg davon.

Auch nicht verwundern kann, dass Hans Weingartners "Free Rainer" leer ausging, ist dies doch ein reiner Publikumsfilm, der zwar seine Zuschauer finden, aber kaum als großes Werk in die Filmgeschichte eingehen wird. Als Zugeständnis an das Gastgeberland muss dagegen die Vergabe des Drehbuchpreises und des Preises für die beste Darstellerin (Blanca Portillo) an "Siete mesas de billar francés" angesehen werden. Silvia Perez in der mit dem Preis der Filmkritiker (FIPRESCI) ausgezeichneten argentinischen Studie "Encarnación" oder Noomi Rapace in Simon Stahos "Daisy Diamond" boten da doch Leistungen von ganz anderem Kaliber.

Überhaupt führte der Däne Staho mit seinem am letzten Wettbewerbstag gezeigten Drama als einziger im ganzen Teilnehmerfeld vor, wie radikal Kino sein kann und wie sehr diese Kunstform eine eigene Sprache sprechen kann. Irritierend schon die erste Szene, wenn die junge Anna von ihrem Fixer-Freund brutal vergewaltigt wird, als sie erklärt, dass sie nach Kopenhagen gehen wolle um Schauspielerin zu werden. Doch eine Kamerarückwärtsfahrt und einsetzendes Kindergeschrei macht klar, dass dies nur eine Schauspielprobe war. Anna jedenfalls wird aufgrund ihres weinenden Babys diese und auch weitere Rollen nicht bekommen und wird völlig überfordert ihr Baby schließlich ertränken. Aufwärts gehen wird es damit in ihrem Leben aber nicht, denn statt Schauspiel wollen Regisseure und Regisseurinnen nur Sex von ihr und schließlich wird sie in der Pornobranche und dann auf dem Strich landen. – Oder ist Letzteres wieder nur eine Filmszene.

Staho reduziert auf ein Minimum, beschränkt sich weitgehend auf starre Großaufnahmen, abstrahiert die Räume und verzichtet, von den Pausen zwischen den einzelnen Handlungsblöcken abgesehen, auf Musik. Formal von größter Konsequenz ist diese Reflexion über die Rolle der Frau und über Schauspiel als Prostitution, im Ausstellen von Sexualität aber auch an der Grenze zum Voyeuristischen. Und fraglich ist auch, ob die Beschränkung auf das Sexuelle auch tragfähig für einen ganzen Film ist. Bestechend und beklemmend ist jedenfalls das erste Drittel, in dem es Staho sogar gelingt im Zuschauer Aggressionen gegen das Babygeschrei aufzubauen und so die schreckliche Tat der Mutter nachvollziehbar macht.

Formale Radikalität ist nicht die Sache von John Sayles. Mit "Honeydripper", der mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde, bastelt der Amerikaner aber weiter an seinem Panorama der amerikanischen Gesellschaft. Für einmal wendet er sich der Vergangenheit zu, siedelt die Geschichte im ländlichen Alabama von 1950 an und erzählt am Beispiel eines schwarzen Clubbesitzers vom Wandel der Musik, vom Aufkommen der Music-Box, des Rock´n´Roll und der E-Gitarre. Sayles lässt beiläufig zwar auch die aufkommende Rassendiskussion und den sich anbahnenden Korea-Krieg einfließen, hat insgesamt aber sicher schon komplexere Filme gemacht, erinnert sei hier nur an "Lone Star". Und zu prüfen bliebe auch noch, ob hier bei der Zeichnung der Afroamerikaner nicht auch Klischees bedient werden.

Aber wie der Raum und die Zeit inszeniert und damit Atmosphäre geschaffen und wie mit Kamerabewegungen und Schnitt ein Erzählfluss erzeugt wird, das ist doch großes Kino, das von souveräner Beherrschung des Handwerks zeugt. – Den Hauptpreis hätte man Sayles gegönnt, nicht unbedingt für diesen Film, aber doch als Würdigung für ein großes Gesamtwerk.

San Sebastian 2007 war kein großer Jahrgang, aber auch kein wirklich schlechter – durchwachsen wie der Kinoalltag. Das Festival an der stimmungsvollen Atlantikküste leidet eben wie alle anderen Festivals außer Cannes unter der ständig größer werdenden Konkurrenz. Schickte die Dänin Susanne Bier ihre letzten beiden Filme noch ins Baskenland, so läuft ihr neues Werk beim Filmfestival Rom, wohin man auch Sean Penn, Francis Ford Coppola und Terry George lockte. Und auch der Baske Julio Medem und der Brasilianer Hector Babenco präsentierten ihre neuen Filme nicht am Golf von Biskaya, sondern werden sie in einem Monat am Tiber vorstellen. – Ob San Sebastian an diesen Filmen gar kein Interesse hatte oder aber das finanziell bestens ausgestattete neue Festival in Italiens Hauptstadt diese Filme dem renommierten spanischen A-Festival einfach wegschnappte, ist allerdings nicht bekannt.