Poetisch verspieltes und schörkellos aufklärerisches Kino

9. Juni 2007
Bildteil

Formal verbindet den argentinischen Film »La Antena« und den afrikanischen »Delwende«, die beide im Wettbewerb des 16. Internationalen Film Festivals von Innsbruck laufen, nichts, gemeinsam ist ihnen aber das Engagement gegen Unterdrückung und Diktatur und für die Selbstbestimmung des Individuums.

In Esteban Sapirs »La Antena« hat der Fernsehboss Mr. TV den Menschen die Stimme genommen. Sein Sender »Alimentos TV« ist die Nahrung des Volkes. Widerstand gegen diese Allmacht kann nur noch der Junge Tomas leisten, der zwar keine Augen hat, dafür aber noch sprechen kann. Unterstützt vom Mädchen Ana und ihren Eltern soll er mit seiner Stimme die Macht des TV-Bosses brechen und die Menschen zu neuem Leben erwecken.

Da nur Tomas und seine Mutter sprechen können, hat Esteban Sapir seinen Schwarzweißfilm weitgehend als Stummfilm angelegt. Nur Tomas und seine Mutter sprechen wenige Sätze, die anderen Dialoge werden als Textinserts direkt ins Bild kopiert, können dann aber auch wieder von den Figuren aus dem Bild geschoben werden. Fast wortlos kommt »La Antena« so aus, vertraut ganz auf die Bildsprache, die sich wieder bei Stummfilmklassikern von Fritz Langs »Metropolis« bis Georges Mélies´ »Die Reise zum Mond« bedient. Dennoch verfällt Sapir nicht ins postmoderne Zitieren, sondern entwickelt in seinem äußerst liebevoll und detailreich inszenierten, verspielt-verträumten Film einen originären Stil.

Zahlreiche visuelle Einfälle wie eine Frau ohne Gesicht oder der augenlose Junge, der in großen Flocken fallende Schnee, eine Szene in Negaivkopie und eine Trickfilmszene oder der Einsatz von Kreis- und Wischblenden sorgen für magische Kinomomente. Geschickt steigert auch der durchgängige Soundtrack von Leo Sujatovich die teils dramatische, teils melancholische Stimmung des Films. Was diesem originellen poetischen Märchen, das sich auch durch seine Form dem kommerziellen Fernsehen radikal widersetzt, letztlich aber nicht gelingt, ist die emotionale Bindung des Zuschauers an die Figuren. So bewundert man zwar die inszenatorische Finesse, das Schicksal der Figuren lässt aber letztlich weitgehend kalt.

Mit dieser Verspieltheit hat der aus Burkina Faso stammende S. Pierre Yaméogo nichts am Hut. In »Delwende« erzählt er im Stil des afrikanischen Altmeisters Ousmane Sembene vom Patriarchat und überholten Traditionen auf dem Land und dem Widerstand einer starken jungen Frau. Kurz schildert Yaméogo fast dokumentarisch das Dorfleben, streut auch eine Tanzszene à la Bollywood ein, um dann aus dem Allgemeinen heraus, seine konkrete Geschichte zu entwickeln: Ein Vater, der auf seine absolute Macht pocht, verheiratet seine Tochter und lässt, als mehrere Kinder aus unerklärlichen Gründen sterben, seine Ehefrau als Hexe brandmarken und ausstoßen. Doch die Tochter wird die Mutter in einem Frauenheim in der Stadt - und wieder arbeitet Yameogo mit dokumentarischen Mitteln - ausfindig machen, wird mit der Mutter ins Dorf zurückkehren. Dort wird sie die Wahrheit aufdecken, die Allmacht der Männer brechen, wird Gerechtigkeit und rationales Denken statt Pochen auf Tradition und Geisterglaube fordern.

Wie ein Gegenstück zu Sembenes »Moolaadé« wirkt »Delwende«, bietet wie diese Abrechnung mit der Genitalverstümmelung und dem Patriarchat schnörkelloses, geradliniges Kino für die Massen. Der aufklärerische Impetus wird in eine einfache Geschichte verpackt und auch mit klaren direkt ausgesprochenen Botschaften wird nicht gespart. Theaterhaft wirkt das mit den ohne Schuss-Gegenschuss-Verfahren in einer Einstellung gedrehten, zum Teil recht papierenen Dialogen, die von teils deklamierenden Laienschauspielern vorgetragen werden, verfehlt aber in seiner Klarheit, seiner Unaufgeregtheit und der Ernsthaftigkeit, mit der Yameogo seine Geschichte erzählt, die Wirkung nicht. – Wohl kaum ein großer Film, aber ein in seiner Schlichtheit und in seinem Engagement wichtiges Stück afrikanisches Volkskino ist »Delwende«, weil er Mut macht und zu einer Stärkung der Position der Frau in Afrika beitragen kann.