Pier Paolo Pasolini – Qui je suis

Das Centre Dürrenmatt betritt mit seiner grossen Wechselausstellung zu Pier Paolo Pasolini einen Kontinent verschiedenster, widersprüchlicher und ständig transformierender Lebenswirklichkeiten. Diese haften dem italienischen Künstler an und lassen ihn zu einer äusserst faszinierenden, ebenso streitbaren wie verletzlichen Persönlichkeit werden. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Komplexität und die Multimedialität des pasolinischen Ausdrucks: 24 Themen zu Leben und Werk, dem autobiographischen Gedicht "Who is me" entnommen, werden in einer markanten Vitrinenlandschaft inszeniert und vom bildnerischen Werk umgeben. Den Horizont dieser eindrucksvollen Topographie bildet eine auf Pasolinis Filmschaffen beruhende Filminstallation.

Alle zwei Jahre legt das Centre Dürrenmatt seinen inhaltlichen Schwerpunkt auf das Verhältnis zwischen "Text und Bild". In einer grossen Wechselausstellung wird das Schaffen von Künstlern behandelt, die sich wie Friedrich Dürrenmatt intensiv mit der Wechselwirkung künstlerischer Ausdrucksformen befasst haben. Wie die Ausstellung "Pier Paolo Pasolini – Qui je suis" zeigt, hat der grosse italienische Regisseur in seiner Suche nach einer der politischen, historischen und gesellschaftlichen Situation angemessenen Sprache diese Transmedialität essentiell in seinem Werk verankert.

Pier Paolo Pasolini (geboren am 5. März 1922 in Bologna, gestorben am 1./2. November 1975 in Ostia bei Rom) gehört zu den herausragenden und schillernden Persönlichkeiten des intellektuellen Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Lyriker in der Sprache seiner friaulischen Heimat, als Autor von Romanen und kulturkritisch-politischen Essays und Kolumnen, als Regisseur polarisierender Filme, aber auch als Zeichner und Maler richtete sich sein Blick in erster Linie auf zeitlose, archaische Themen: das Schicksal des Menschen, das bäuerliche Leben, die Religion, die Mythen, die Sexualität und der Tod. Dabei bewegte er sich stets ausserhalb gängiger Normen, fand Bilder von aussergewöhnlicher Klarheit und Schärfe und wurde dabei zum grössten Provokateur der italienischen Gesellschaft. Sein gewaltsamer, noch immer nicht restlos geklärter Tod, den er in seinem Werk zum Teil vorweggenommen hat, war ein Schock, den die italienische Öffentlichkeit bis heute nicht verwunden hat.

Die Ausstellung stellt Pasolinis komplexes und multimediales Schaffen in den Mittelpunkt und entwickelt sich entlang dem "biographischen" Gedicht "Poeta delle ceneri" (das den Arbeitstitel "Who is me" trägt und auf seinen bekanntesten Gedichtband "Ceneri die Gramsci" anspielt). Pasolini erzählt darin sein Leben, wobei auch Werke und ihre Rezeption explizit erwähnt und stilistisch-mediale Entscheidungen thematisiert werden. Er liefert somit die 24 Stichworte und Zitate, um die sich Manuskripte, Zeitungsartikel und Fotographien gruppieren und in einer markanten Vitrinenlandschaft inszeniert werden. Mittels dieser spektakulären Topographie werden die in Pasolinis Werk allgegenwärtigen Brüche und Widersprüche räumlich verortet und greifbar.

Eine eindrückliche und raumgreifende Filminstallation von Detlef Weitz und Dominique Müller untersucht auf zwölf Leinwänden Pasolinis filmisches Schaffen und leitet gleichzeitig zu den "unbewegten" Bildern über: Das zeichnerische Schaffen und umfasst Portraits, Selbstbildnisse sowie einige Landschaftszeichnungen. Für Pasolini ist das Denken ein bildhafter Vorgang. Hier – ebenso wie in seiner eingehenden Beschäftigung mit Mythos und Religion – entstehen Parallelen zu Friedrich Dürrenmatt, weshalb die Ausstellung mittels einigen Gouachen ein Fenster zum hauseigenen Schriftsteller und Maler öffnet.

Auf dem umfangreichen Begleitprogramm stehen öffentliche Führungen, eine Gesprächsrunde zum Film "Il vangelo secondo Matteo" (Das Evangelium nach Matthäus) unter anderen mit dem Pasolini-Spezialisten Hervé Joubert Laurencin sowie ein in Zusammenarbeit mit Passion Cinéma entwickelter Filmzyklus (27. Mai bis 24. Juni) mit Filmen von und über Pasolini.


Pier Paolo Pasolini – Qui je suis
14. Juni bis 6. September 2009