Philosophische Passagen aus Lech

Mit dem diesjährigen Thema beim Philosophicum "Alles wird gut. Zur Dialektik der Hoffnung" konnte man mich wieder einmal nach Lech locken. Und wenn schon, dann für das gesamte Programm, beginnend mit den Dialogen (die sich der Debatte aktueller, brisanter Themen der Zeit widmen) am Dienstagnachmittag. Eingegangen sei hier aber nur auf die (sehr subjektiv) anhaltend beeindruckenden Passagen.

"Wie ist die Lage?", lautete die Fragestellung. Reinhard Merkel – emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Hamburg – tat sich mit der Mahnung hervor, dass in einer Demokratie auch bei hohem Zeitdruck die legitimierten Verfahren zur Problemlösung eingehalten werden müssen. Wer entscheidet über die Kriterien wann ein Notstand eintritt? Bei den tiefen Eingriffen in die Grund- und Freiheitsrechte während der Covid-Pandemie passierte eine substanzielle Verschiebung der Legislative zur Exekutive. Große Transformationen würden in Demokratien ihre Zeit brauchen, so Merkel – auch und vor allem mit Blick auf die Klimakrise.

Liebgewonnene Tradition ist der philosophisch-literarische Vorabend am Mittwoch bei dem Michael Köhlmeier mit Geschichtenerzählen und Konrad Paul Liessmann in gewieftem Kontern den emotionalen Bogen zum Tagungsthema aufspannen. Wenn der Titel "Die Büchse der Pandora" lautet, entführt uns Köhlmeier erwartungsgemäß in die griechische Mythologie. Das Trauma des antiken Menschen sei, dass Zeus die Menschen nicht gemacht und nicht geliebt hat, sondern Prometheus erschuf sie als lernfähige (eine besondere Gabe) Versager. Die Titanen wären Erzfeinde der Götter gewesen, deswegen waren die Menschen in ihrer Existenz von vornherein bedroht. Zeus erfand für sie eine wunderschöne Frau, Pandora, die "Allbeschenkte", die ein Behältnis mitbrachte. Mit dem Öffnen kamen alle Laster und Untugenden über die Menschen, doch ganz zuunterst wäre noch die Hoffnung gewesen.

Liessmann sinniert, ob diese auch nur ein Übel sei, oder doch ein Therapeutikum. Da passt ein Zitat von Friedrich Nietzsche: "Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert." Köhlmeier gibt weiters die Legende der Erweckung des Lazarus von den Toten durch Jesus und die tragische Sage der Umschiffung des Caps der Guten Hoffnung durch den sogenannten Fliegenden Holländer vor. Spannend! Und trefflich einstimmend für das Kommende!

"Lasst alle Hoffnung fahren" war die Überschrift zum eröffnenden Magna-Impulsforum. Dies ist der Satz, der über Dantes Inferno, in welches alle Übeltäter verbannt werden, steht. Wir hoffen gegen alle Vernunft, gegen alle Erfahrung, gegen alle Wahrscheinlichkeit, meint Liessmann. Pater Martin Werlen von der Probstei St. Gerold stellt fest, die Schöpfung sei auf Hoffnung gebaut. Ebenso eine Bereicherung für jedes Podium ist Helga Rabl-Stadler, die ehemalige Präsidentin der Salzburger Festspiele, mit Direktheit und ihren positiven Einwürfen. Spannend war auch die Inszenierung, denn das Impulsforum wurde als Talk-Spezial im Fernsehen übertragen.

In Erinnerung bleibt Christine Abbt, Professorin für Politische Philosophie an der Universität Graz, mit ihrem Vortrag "Offene Horizonte. Zum Gestaltungspotential nicht-idealer Voraussetzungen". Alles sei nicht gut, postuliert sie, und es sei wesentlich die Differenz zwischen Ideal und konkreter Lebenssituation zu erkennen, dort liege das Gestaltungspotenzial. Sie zeichnet Athene als Idealbild und stellt eine Allerwelts-Matilda daneben. Es wäre problematisch, behaupte man eine Identität zwischen ideal und konkret. Dass Vorgefundene ist nicht das Bestmögliche und kann deshalb konstruktiv verändert werden.

Der wissenschaftliche Leiter Konrad Paul Liessmann zieht gekonnt den Roten Faden von theoretisch-wissenschaftlich – man wähnt sich zeitweise im Vorlesungssaal – über "speaker-mäßige" Auftritte – eine Wohltat beispielsweise Fred Luks zu "Die Hoffnung auf Nachhaltigkeit. Möglichkeiten und Grenzen des ökologisch-ökonomischen Wandels" – zu spannenden, interdisziplinären Themen: Catrin Misselhorn, Professorin für Philosophie in Göttingen, wäre mit ihren Ausführungen zur Künstlichen Intelligenz einen eigenen Artikel wert! Und Biochemikerin Univ. Prof. Dr. Renée Schröder bildete mit ihrem Vortrag "Dürfen wir auf Unsterblichkeit hoffen?" den fulminanten, sehr lebendigen Abschluss.

Am Ende wird alles gut! Und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. Klar, dass irgendwann auch mein Lieblingszitat fällt, wusste nicht dass es von Oscar Wilde stammt: "Everything will be good in the end, if it isn't good, it's not the end."

26. Philosophicum Lech
Alles wird gut. Zur Dialektik der Hoffnung
Lech am Arlberg vom 19. bis 24. September 2023