Perfekte Bildgestaltung, minimalistische Erzählung: Die Filme des Taiwanesen Hou Hsiao-hsien

28. Dezember 2015 Walter Gasperi
Bildteil

Von Jim Jarmusch, Quentin Tarantino und Martin Scorsese als einer der bedeutendsten Regisseure der Gegenwart verehrt, ist der Taiwanese Hou Hsiao-hsien einer breiten Öffentlichkeit dennoch weitgehend unbekannt. Den Start seines neuen, in Cannes preisgekrönten Films "The Assassin" nimmt das Stadtkino Basel als Anlass für eine große Retrospektive von Hous Werk.

1947 in südchinesischen Meixian geboren, emigrierte Hous Familie vier Monate später, kurz vor der Machtübernahme durch die von Mao Tsetung angeführten Kommunisten, nach Taiwan. Von 1969 bis 1972 studierte er an der Filmabteilung der Nationalen Kunstakademie in Taipeh, arbeitete danach zunächst als Drehbuchautor und drehte 1980 mit "Jiushi liuliu de ta" sein Langfilmdebüt.

Nach ersten Filmen innerhalb der taiwanesischen Filmindustrie begann Hou ab 1983 zunehmend eigene Wege zu gehen und wurde zusammen mit dem früh verstorbenen Edward Yang zum wichtigsten Vertreter der taiwanesischen Nouvelle Vague.

Diese Bewegung, die sich dank staatlicher Subventionen entwickeln konnte, setzte dem kommerziellen Kino der 1970er Jahre, das durch den exzessiven Einsatz von Zooms, schnellen Schnitte und extreme Nahaufnahmen gekennzeichnet war, eine minimalistische Ästhetik entgegen.

Autobiographisch gefärbt ist die zwischen 1983 und 1987 entstandene lose Tetralogie "Die Jungen von Feng-Kuei" ("The Boys of Fengkuei", 1983), "Ein Sommer beim Großvater" ("A Summer at Grandpa´s", 1984), "Geschichten einer fernen Kindheit" ("A Time to Live and A Time to Die", 1985) und "Liebe, Wind, Staub" ("Dust in the Wind", 1987). In distanzierten Bildern und ruhigem Blick folgt Hou hier Kindern und Jugendlichen, spürt ihren Gefühlen und ihrer Entwicklung nach.

Der erste große internationale Erfolg – zumindest bei der Kritik – folgte 1989 mit "Stadt der Traurigkeit" ("City of Sadness"), der in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde und eine Trilogie zur taiwanesischen Geschichte eröffnete. Erzählt Hou hier anhand der Geschichte einer Familie von den Auswirkungen des Umbruchs Taiwans zwischen dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft (1945) und der Machtübernahme durch Chiang-Kai-sheks Kuomintang (1949), so spielt "Der Meister des Puppenspiels" ("The Puppetmaster", 1993) während der japanischen Kolonialherrschaft. "Good Men, Good Women" (1997) ruft schließlich den Weißen Terror der Kuomintang und die von 1949 bis 1987 währende Zeit des Kriegsrechts in Erinnerung.

Werden solche Geschichten im konventionellen Kino freilich als großes Drama erzählt, setzt Hou auf Zurückhaltung, erzählt in langen, meist statischen Totalen, die dem Zuschauer Zeit lassen, und blendet die dramatischen Ereignisse in seiner elliptischen Erzählweise aus. Nur ein Minimum an Informationen gibt der Taiwanese dem Zuschauer, wodurch sich seine Filme dem leichten Verständnis entziehen oder eben einladen, sich einfach auf die penibel kadrierten und meisterhaft ausgeleuchteten Einstellungen einzulassen. Diese nämlich werden zunehmend länger und einer durchschnittlichen Länge von 42 Sekunden bei "Stadt der Traurigkeit" stehen über 100 Sekunden bei "Good Men, Good Women" gegenüber.

Mit "Goodbye South, Goodbye" (1996) wandte sich dieser radikale Stilist zwar der Gegenwart zu, doch verzichtet er selbstverständlich auch bei dieser Geschichte um drei junge Kleinkriminelle auf jede Action. Wie sehr seine Filme im langsamen Erzählrhythmus und ihrem Minimalismus polarisieren, lässt sich beispielhaft an den Reaktionen auf "Flowers of Shanghai" (1998) zeigen, in dem Hou in erlesenen Bildern von Prostituierten im Schanghai Ende des 19. Jahrhunderts erzählt.

Während Mark R. Leeper über den Film urteilt "statische und öde Story in einem Bordell in Shanghai von 1880. Die Kameraarbeit ist minimal, also ein Bühnenstück, wo sich die Aktionen fast ausschließlich abseits der Bühne zutragen. […] Sehr niederschmetternd. […] Überhaupt nur in zwei Szenen passiert etwas außer Dialog", findet Jeffrey M. Anderson "mehrfaches Ansehen und unmögliche Geduld sind vonnöten […] Alle Szenen scheinen nur von Kerzen und Öllampen erleuchtet […] Obwohl wir das Freudenhaus nicht verlassen, gibt es nie auch nur eine Andeutung von Sexualität oder auch nur Leidenschaft […] Eine einzige Musikfolge liegt wieder und wieder unter dem ganzen Film […] Ich kann die unglaubliche Schönheit dieses Films gar nicht genug betonen".

Drei Liebesgeschichten an verschiedenen Orten und Zeiten – 1911 in Dadaocheng, 1966 in Kaohsiung und 2005 in Taipeh – erzählt Hou wiederum in "Three Times" (2005), während er 2007 in Paris mit "Le voyage du ballon rouge" quasi ein Remake von Albert Lamorisse oscargekröntem Kurzfilm "Der rote Ballon" (1956) drehte.

Nach acht Jahren Pause meldet er sich nun zurück und entführt den Zuschauer in "The Assassin" (2015) ins China des 9. Jahrhunderts. Doch einen leicht konsumierbaren Martial-Arts-Film sollte man sich auch von diesem Film, für den Hou in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde, nicht erwarten.

Literatur:
Grob, Norbert, Hou Hsiao-hsien. In: Filmregisseure, S. 335ff., 3. aktual. Aufl., Reclam Verlag, Stuttgart 2008
Reidel, Ella, Geschichtsschreibung, in RAY 5/2014
Bulgakowa, Oksana, Liebe wie Staub im Wind. In Neues Ostasiatisches Kino, S. 216ff., Reclam Verlag, Stuttgart 2015
Hou Hsiao-hsien (Wikipedia)
Bialas, Dunja, Zeit zu leben, Zeit zu sterben (Artechock)
Nicodemus, Katja, Verkannte Genies: Hou Hsia-hsien: Ein ganzes Land in einem Bild

Trailer zu "The Assassin"