Paradies oder Hölle? – Inselfilme

11. August 2014 Walter Gasperi
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Als Sehnsuchtsort erscheint die abgeschiedene, idyllische Insel in Literatur, Film und vielleicht auch im Leben immer wieder – und mutiert dann doch vielfach in eine Hölle. Das Filmpodium Zürich zeigt derzeit ergänzend zu einer Ausstellung im Museum Strauhof "Inselfilme".

Auf einer fernen, längst untergegangenen Insel siedelte Platon seine mythische Geschichte vom idealen Staat Atlantis ebenso an wie Thomas Morus sein "Utopia": Ein eu-topos (guter Ort) kann es nur sein, weil es a-topos (nicht am Ort) ist, denn in der Realität kippt die Utopie oft in ihr Gegenteil. Doch auch abseits solcher staatsphilosophischer Entwürfe sahen auch schon die Römer in den fernen Kanaren die "Insel der Glückseligen": Das Glück ist überall dort, wo man selbst nicht ist.

Science-Fiction in der Gegenwart sind Inselbücher und Inselfilme, indem sie ihre Träume von einer anderen Welt und Gesellschaft nicht in die Zukunft verlegen, sondern in einen außerhalb der gewohnten Umwelt gelegenen, gesellschafts- und zivilisationsfreien Raum.

Als Paradies erscheint hier vor allem die Südsee durch Klima und Ursprünglichkeit. Hier drehte Friedrich Wilhelm Murnau zusammen mit Robert Flaherty "Tabu" (1929-1931) und beschwor in großartigen Bildern die idyllische Inselwelt, lässt aber auch eine Liebe an religiösen Vorschriften tragisch scheitern.

Ein Paradies ist die Inselwelt von Tahiti auch für die Seeleute in "Mutiny on the Bounty" (Frank Lloyd, 1935; Lewis Milestone, 1962; Roger Donaldson, 1984). Nachdem sie sie sich gegen ihren tyrannischen Kapitän Bligh erhoben haben, wollen sie fernab der Zivilisation und der britischen Gerichtsbarkeit mit Frauen aus der Südsee auf einer abgeschiedenen Insel leben, doch bald kommt es zumindest in der Verfilmung von Lewis Milestone innerhalb der Gruppe zu Auseinandersetzungen. – Das Paradies kippt immer wieder in die Hölle, denn der Mensch scheint nicht fähig zu einem herrschaftsfreien Zusammenleben.

Wird hier die Insel bewusst gesucht, so wird in Daniel Defoes 1719 erschienenem Klassiker "Robinson Crusoe" der Protagonist durch Schiffbruch auf eine Insel verschlagen, sodass er sein Leben mit einem Minimum an materiellen Mitteln neu organisieren muss. Luis Bunuel nützt diese Ausgangssituation in seiner Verfilmung (1954) um Fragen nach Wert und Nutzen der Zivilisation aufzuwerfen.

Von Defoe beeinflusst entstand William Goldings Roman "Lord of the Flies", den Peter Brook 1964 verfilmte. Wie Crusoe muss sich eine Gruppe von Jugendlichen, die als einzige einen Flugzeugabsturz überleben, auf einer unbewohnten Insel zurecht finden. Sind zunächst alle gleich, bilden sich bald je nach dem Charakter der Jugendlichen Herrschafts- und Abhängigkeitsstrukturen heraus und es entwickeln sich gewalttätige Konflikte. Rasch blättert die dünne Schicht der Zivilisation ab und das Recht des Stärkeren herrscht.

Ein pessimistisches Menschenbild bestimmt auch Ernest B. Schoedsack und Irving Pichels faszinierenden "The Most Dangerous Game" (1932). Hier kann ein Graf auf einer abgeschiedenen Insel ungehindert seiner größten Lust frönen und statt wilde Tiere Menschen jagen, die sich nach einem Schiffbruch an die vermeintlich sichere Küste retten.

Eine noch diabolischere Figur steht mit Mittelpunkt von H. G. Wells 1896 erschienenem Roman "Die Insel des Dr. Moreau", in dem ein Arzt mit Tieren und Menschen experimentiert. Dreimal wurde diese Geschichte, die prophetisch schon auf die Experimente der Nazis vorauswies, bislang verfilmt, als unübertroffen gilt aber immer noch die erste Fassung von 1932 ("Island of Lost Souls"; Regie: Earle C. Kenton), in der Charles Laughton den verbrecherischen Arzt spielte.

Doch nicht nur Gewaltphantasien, sondern auch der Traum von sexueller Freiheit und Lust lassen sich in der Abgeschiedenheit einer Insel ausleben wie in Julio Medems "Lucia y el sexo" (2001). Fern der restlichen Welt halten sich aber auch länger archaische Rituale. Atmosphärisch dicht erzählt Jacques Tourneur in "I Walked With a Zombie" (1943) vom Zusammenstoß westlicher Vernunft und alter karibischer Kulte.

Wie sich das Alte hier erhält, so dringt das Neue nur zögerlich ein. In eine archaische Gesellschaft entführen Paolo und Vittorio Brüder Taviani in dem auf Gavino Leddas 1975 erschienener Autobiographie beruhenden "Padre Padrone" (1977). Von absoluter Macht des Vaters, hartem Hirtenleben und Bildungsferne, aber schließlich auch von deren Überwindung und Emanzipation erzählen die Regiebrüder in grandiosen Bildern und denkwürdiger Musikmontage.

Von dieser Bildungsferne – und einer ungewöhnlichen Männerfreundschaft - erzählt auch Michael Radford in "Il postino" (1964), in dem der Brite nach einem Roman von Antonio Skarmeta den auf der Liparischen Insel Salina im Exil lebenden chilenischen Nobelpreisträger Pablo Neruda auf einen ungebildeten Briefträger treffen lässt. Mit sanfter Komik und in malerische Bilder getaucht, erzählt Radford, wie der Briefträger, der nie eine Schule besuchte, unter dem Einfluss Nerudas nicht nur einen Zugang zur Literatur findet, sondern auch Selbstbewusstsein entwickelt.

Vieles, wenn nicht sogar alles ist möglich auf einer Insel, die ein gesellschaftsfreier Raum ist oder auf der zumindest eigene Gesetze herrschen. Und folglich sind auch die Filme zu diesem Thema sehr unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen freilich, dass sie bestenfalls auf den ersten Blick paradiesische Welten vorführen, bald aber – nicht anders als vielfach in der Science-Fiction – in Dystopien kippen.

Trailer zu "Robinson Crusoe" (Luis Bunuel, 1954)