Olbrich-Retrospektive in Darmstadt

Bereits mit seinem spektakulären Frühwerk, dem Wiener Secessionsgebäude, gelingt Joseph Maria Olbrich ein Gebäude von bahnbrechender Wirkung, von Nikolaus Pevsner als "Wegbereiter moderner Formgebung" bezeichnet. Zehn Jahre später spannen seine letzten Arbeiten – insbesondere das berühmte Ensemble von Ausstellungsgebäude und Hochzeitsturm auf der Mathildenhöhe Darmstadt (1908) – markant den Bogen zum architektonischen Expressionismus.

Dazwischen liegt ein Jahrzehnt fruchtbaren Schaffens, in dem sich Olbrich als Universalkünstler erweist. Ganz dem Konzept des Gesamtkunstwerks verschrieben, entwirft er neben einem breiten Spektrum an Bauaufgaben zugleich Innenausstattungen, Gärten, eine Vielfalt an Gebrauchs- und Schmuckgegenständen sowie graphische Präsentationen. Die allererste Bauausstellung überhaupt wird 1901 auf der Mathildenhöhe Darmstadt nach Olbrichs Plänen realisiert. Damit wird er für Architekten wie Bruno Taut, Erich Mendelsohn und Le Corbusier zum Vorbild.

Joseph Maria Olbrich (* 22. Dezember 1867 in Troppau; † 8. August 1908 in Düsseldorf) wurde als drittes Kind der Eheleute Edmund und Aloisia Olbrich geboren. Er hatte zwei Schwestern, die vor seiner Geburt gestorben waren, sowie die jüngeren Brüder Johann und Edmund. Olbrich besuchte zunächst das Gymnasium in Troppau, welches er jedoch vorzeitig verließ, um bei einem Bauunternehmer als Zeichner zu arbeiten. 1882 ging er nach Wien, um in die Architekturklasse der Wiener Staatsgewerbeschule einzutreten. Seine Lehrer waren unter anderem Julius Deininger (Vater von Wunibald Deininger) und Camillo Sitte. Anschließend kehrte er kurzzeitig nach Troppau zurück, um dort für eine Baufirma als Zeichner zu arbeiten. Ab 1890 studierte er an der Akademie der bildenden Künste in Wien als Schüler von Karl Freiherr von Hasenauer und gewann mit seinen Entwürfen mehrere Preise, wie den Pein-Preis, den Hofpreis 1. Klasse und den Rom-Preis der Akademie. 1893 trat er in das Büro von Otto Wagner ein. Die meisten Detailpläne für die Gebäude der Wiener Stadtbahn dürften von Olbrich stammen, doch ist dies nicht genau bekannt. Als erster großen Auftrag baute er 1897 das Secessionsgebäude.

Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (Hessen-Darmstadt) besuchte häufig Wien und war sehr an moderner Kunst interessiert. Auf seine Veranlassung entstand daher 1899 in Darmstadt die Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe. Zu diesem Zweck holte er Olbrich nach Darmstadt, der schnell zum inoffiziellen Führer der Künstlerkolonie wurde und auch das höchste Gehalt bezog. Am 4. April 1900 bekam er vom Großherzog den Professorentitel verliehen und wurde hessischer Bürger. Olbrich war damals der einzige Architekt in der Künstlergruppe, denn Peter Behrens betätigte sich ursprünglich nur als Maler und Graphiker. Weniger gut kam Olbrich mit dem Verleger Alexander Koch aus, der ihn in seinen für die Kolonie wichtigen Zeitschriften Innendekoration und Deutsche Kunst und Dekoration nur selten erwähnte. 1903 heiratete Olbrich in Wiesbaden Claire Morawe, die geschiedene Frau des Schriftstellers Christian Ferdinand Morawe.

Die Künstlerkolonie wurde zum Experimentierfeld für Olbrich, wo er auch das Hauptgebäude, das Ernst-Ludwig-Haus baute. Daneben entstanden diverse Wohnhäuser und provisorische Bauten für die Ausstellungen. Ferner entwarf er Keramikgeschirre für die Künstlerkolonie, die in der Waechtersbacher Keramik produziert wurden, Möbelstücke für Darmstädter Möbelfirmen und Musikinstrumente, wie den Mand-Olbrich-Flügel. Länger als manch anderes Mitglied blieb Olbrich der Kolonie treu. Seine Beiträge zur Louisiana-Ausstellung in St. Louis machten einen so großen Eindruck, dass er – wahrscheinlich auf Veranlassung von Frank Lloyd Wright – korrespondierendes Mitglied des American Institute of Architects wurde. 1906 erhielt er seinen letzten und größten Auftrag: das Warenhaus der Leonhard Tietz AG (später Kaufhof AG) in Düsseldorf. Das Rheinland erschien ihm als lockendes Betätigungsfeld, da er hier anscheinend leichter an solche großen, monumentalen Projekte kam als in Darmstadt, wo die Künstlerkolonie außer dem Großherzog nur wenige Auftraggeber hatte.

Kurz nach der Geburt seiner Tochter Marianne am 19. Juli 1908 starb Olbrich – nur 40 Jahre alt – am 8. August in Düsseldorf an Leukämie. Vier Tage später wurde er in Darmstadt auf dem alten Friedhof beerdigt. 1924 wurde die Olbrichgasse in Wien-Meidling und in den 1960er Jahren die Josef-Maria-Olbrich-Straße in Düsseldorf-Garath nach dem Architekten benannt.

Die Retrospektive "Joseph Maria Olbrich 1867-1908. Architekt und Gestalter der frühen Moderne" auf der Mathildenhöhe Darmstadt präsentiert diesen großen Erneuerer der Architektur und Lebensgestaltung um 1900 erstmals seit 27 Jahren umfassend und zeigt neben Meilensteinen der Architekturgeschichte das erstaunliche Gesamtwerk des gebürtigen Österreichers.

Das umfangreiche Katalogbuch, herausgegeben von Ralf Beil und Regina Stephan mit Texten von Werner Durth, Joseph Imorde, Gabriele Kaiser, Markus Kristan, Maximilian Ulrich Schumann, Regina Stephan u.a. erscheint im Hatje Cantz Verlag, ca. 448 S., ca. 350 farbige Abb., 24,5 x 30,5 cm, gebunden mit Schutzumschlag. Zur Ausstellung entsteht zudem ein weiterer Band aus der Reihe "Kunst zum Hören".

Joseph Maria Olbrich 1867-1908
Architekt und Gestalter der frühen Moderne
7. Februar bis 24. Mai 2010