Öhrchen mit Kohl

21. Mai 2012 Kurt Bracharz
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Das Sprichwort "Wer viel fragt, wird weit gewiesen" lässt sich für die Suche nach Rezepten auf "Wer viel nachschlägt, wird sich verirren" umformulieren. Orechiette mit Brokkoli hatte ich aus der Lektüre als ein für Apulien und Kalabrien typisches Gericht in Erinnerung, aber was kommt zu den beiden konstituierenden Bestandteilen Pasta und Kohlsorte noch hinzu?

In Felice Cunsolòs „"talien. Eine kulinarische Reise" steht nur: "Orechiette con cime e acciuga. Nudeln mit Rübenspitzen und Sardellen. Die orechiette (wörtlich: Öhrchen) werden zusammen mit Rübenspitzen gekocht und dann mit in Öl zerdrückten Sardellen serviert." "Rübenspitzen" ist eine obsolete Übersetzung für Cima di rapa, auf Deutsch Stängelkohl oder Rübstiel (bot. Brassica rapa var. Cymosa oder Brassica rapa sylvestris), im Handel auch "Rappa" genannt. Von ihm werden hauptsächlich die dünnen Stängel und die Blütentrauben verwendet.

"Der Silberlöffel" hat das einfachste Rezept: Man kocht Orechiette al dente, fügt dann für weitere 5 Minuten den Stängelkohl hinzu, gießt ab, richtet in einer vorgewärmten Servierschüssel an, beträufelt das Ganze mit Olivenöl und pfeffert es. Oder man erhitzt Knoblauch in Olivenöl und gibt dann die Pasta-Gemüse-Mischung hinein. Mit Brokkoli werden die Orechiette ebenso zubereitet, es wird aber noch Chili beigefügt und zuletzt Parmesan oder Pecorino darüber gerieben.

Yvonne Tempelmann schlägt in "Verdura Italiana" vor, die al dente gekochten Orechiette warm zu stellen, Cima di rapa im Pastawasser knackig zu garen, in einer Pfanne die zerdrückten Dosen-Sardellen mit Knoblauch und Peperoncini in Olivenöl anzudünsten und dann den Stängelkohl unterzumischen. In einer weiteren Pfanne wird Paniermehl in Öl goldbraun gedünstet. Schließlich wird auf den Tellern das Gemüse auf den Orechiette verteilt und die Brösel werden darüber gestreut.

Antonio und Priscilla Carluccio geben in ihrem Buch "Pasta" ein Rezept für Brokkoli an und schreiben: "In Äpulien gehören Brokkoli und Orechiette untrennbar zusammen. Die Verbindung der Pasta mit würzigem Brokkoli, sonnengereiften Tomaten, Chilis und Olivenöl ist einzigartig." Das Rezept entspricht dem des "Silberlöffel", wobei Carluccio zuletzt die Verwendung von Pecorino "nach Belieben" vorschlägt. In seinem Buch "Viva la pasta" brät Carluccio in dünne Streifen geschnittenen Schinkenspeck oder leicht geräucherten Speck ohne Schwarte in Olivenöl braun an, gibt den gekochten und sehr fein gehackten Brokkoli dazu, gießt mit Milch auf und rührt diese Sauce glatt. Die Pasta kommt in die Sauce und alles wird mit frisch geriebenem Parmesan vermischt.

Speck verwendet auch Vincenzo Buonassisi in "Nudel & Nudel" in seinem Rezept "Pasta con i broccoli al lardo". Er erhitzt Lardo, Chili und Knoblauch in einer Pfanne, in der er dann den zerkleinerten Brokkoli 20 Minuten schmoren lässt. Für ihn ist Pecorino der richtige Käse dazu.

In Giuliano Hazans "Klassische Pastaküche" sind Blumenkohl und in Streifen geschnittene Pancetta die gegenüber dem vorigen Rezept abweichenden Zutaten, wobei er den weich gekochten Blumenkohl in der Speck-Olivenöl-Mischung leicht anbräunt. Als Pasta-Varianten gibt er Fusilli corti oder Strozzapreti an, als Käse Pecorino.

Kein Orechiette-Rezept, aber vermutlich davon inspiriert ist das "Nudel-Broccoli-Ragout" (sic!) in dem von Birkel 1986 gesponserten Buch "Köstliche Nudelgerichte" von Christa Graichen und Gisela Wörpel. Hier werden Bandnudeln in einer Blauschimmelkäse-Sauce (aus süßer Sahne und mit Knoblauch) mit dem Brokkoli vermengt.

Manche italienischen Köche in Österreich und Deutschland vermischen die Orechiette mit Blattspinat, wogegen nichts einzuwenden ist, außer vielleicht, dass Spinat im Unterschied zu Cima di rapa, Brokkoli oder Blumenkohl kein Kohlgewächs ist und merklich anders schmeckt.

Carol Field schreibt in ihrem Slow-Food-Kochbuch "La cucina della nonna" über "Orechiette e Broccoli Rape" (was mit "Sprossenbrokkoli" übersetzt ist): "Dieses Gericht gehört zum Standardrepertoire jeder apulischen Großmutter." Wer keinen Sprossenbrokkoli finde, solle stattdessen Löwenzahnblätter nehmen – oder Brokkoli. Sie kocht die Orechiette mit dem später dazu gegebenen Kohl gemeinsam, erhitzt in einer Bratpfanne Knoblauch und Sardellen, zerdrückt sie und gibt Chiliflocken und Salz bei. Dann wird alles vermengt, in eine Servierschüssel gegeben, mit Olivenöl beträufelt und gesalzene Ricotta darauf verteilt. Diese Version nennt Field "wohl die schmackhafteste, die ich je gegessen habe".