Oasen der Stille

Ausgehend vom letzten Viertel des 18. bis weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein begannen die meisten Familien des Hochadels ihre streng formalen barocken Gartenanlagen im neuen englischen Stil umzuformen und teilweise grosse englische Landschaftsgärten anzulegen. Diese Mode, die sich beinahe wie eine "Manie" von England nach Frankreich und dann über den ganzen Kontinent verbreitete, wurde bald vom österreichischen Kaiserhaus aufgegriffen und erfasste schliesslich auch rasch den Adel sowie das aufstrebende Grossbürgertum.

Den grössten Garten Mitteleuropas besass die Familie Liechtenstein zwischen ihren Besitzungen in Feldsberg (Valtice) und Eisgrub (Lednice) in Südmähren, aber auch die Hinterbrühl und die Umgebung südlich von Greifenstein an der Donau, damals ebenfalls im Besitz der Familie Liechtenstein, wurden in derartige Landschaftsgärten umgewandelt. Auch andere grosse Familien, allen voran die Esterházys in Eisenstadt, die Schönborns in Göllersdorf, die Harrachs in Bruck/Leitha oder die Schwarzenbergs und Graf Lacy in Wien, folgten den aus England und Frankreich kommenden neuen Ideen.

Die im italienischen und französischen Geschmack gestalteten Gartenanlagen waren damit ab der Mitte des 18. Jahrhunderts Modelle der Vergangenheit. Auf der einen Seite wurden streng formale Barockgärten, wie auch der Garten des Palais Liechtenstein in der Rossau, der in der Ausstellung als "Prototyp" einer derartigen Metamorphose herausgegriffen wird, unter den Fürsten Franz Josef I. (reg. 1772–1781), Alois I. (reg. 1781–1805) und Johann I. von Liechtenstein (reg. 1805–1836) modernisiert und in malerisch komponierte Naturszenarien umgeformt. Auf der anderen Seite wurden weitläufige Landstriche, die sowohl der Erbauung dienen sollten als auch strengen ökonomischen Überlegungen folgten, gestaltet und "gezähmt".

Fürst Alois I. von Liechtenstein legte mit seiner Anlage um Eisgrub (heute Lednice) und Feldsberg (heute Valtice) die Grundlage zu einem auch wirtschaftlich erfolgreichen Projekt, das sich im Laufe der Zeit zum grössten Landschaftsgarten der österreichisch-ungarischen Monarchie entwickelte. Durch die Umwandlung in einen englischen Garten konnte er einen noch grösseren Nutzen aus der Landschaft schöpfen – künstlich angelegte Teiche etwa fügten sich mit der Bepflanzung und den Voluptuarbauten nicht nur zu beeindruckenden Bildern, sondern erzielten in der Teichwirtschaft auch gewinnbringende Ernten an Karpfen.

Die Ausstellung "Oasen der Stille" im Liechtenstein Museum demonstriert anschaulich, wie ganze Parks nicht nur hinsichtlich der Bepflanzung und Kultivierung von seltenen Pflanzen eine Art "Versuchsstation" bildeten, sondern den Auftraggebern und Planern oft auch als "Spielwiese" für die Architekturtheorie im kleinen Massstab dienten. Bauten des französischen Revolutionsklassizismus sowie das Gothic Revival hatten gleichermassen Einfluss auf die Architekten, wie Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg (1733–1816), Joseph Hardtmuth (1758–1816), Charles de Moreau (1758–1841) und Joseph Kornhäusel (1782–1860), sowie auf deren Planung der meist zwanglos und frei in den Landschaftsgärten "verstreuten" Triumphbögen, Obelisken, Ruinen, Pavillons und Tempel.

Der Garten wurde darüber hinaus zunehmend zur Freizeitlandschaft, die Vielfältiges zu bieten hatte: Cafés, Lusthäuser, Grotten, Labyrinthe, künstlich gestaltete Wasserfälle, Teiche und vieles mehr – bis zum Feuer speienden Vulkan, wie in Wörlitz – machten den Landschaftsgarten zum Freizeitprogramm für Tag und Nacht.

Von den ursprünglichen Gärten, die in der Ausstellung des Liechtenstein Museum gezeigt werden, wurden einige im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte stark verändert, einige gingen in ihrer ursprünglichen Ausformung gänzlich verloren. Oftmals sind aber heute noch arkadisch gestaltete Landschaften mit beeindruckenden Baumbeständen und exquisiten Kleinarchitekturen erhalten, die für den Besucher gern genutzte Freiräume bilden.

Der etwa 5 Hektar grosse Garten des Palais Liechtenstein in der Rossau kann dem Museumsbesucher als existentes anschauliches Beispiel der gelungenen Synthese eines formalen Barockgartens mit einem englischen Landschaftsgarten dienen. Diese blühende Oase inmitten der Stadt mit ihrem beeindruckenden Baumbestand – im Liechtenstein-Park befinden sich die grössten Platanen Wiens – lädt vor oder nach der Ausstellung zum Verweilen und Relaxen ein – fernab jeglichen Trubels der Grossstadt, in einer "Oase der Stille".


Oasen der Stille
Die grossen Landschaftsgärten in Mitteleuropa
6. Juni bis 18. November 2008