Notizen des Großstadtalltags

Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main präsentiert vom 12. Juli bis 3. August 2008 Film- und Fotoarbeiten von Solmaz Shahbazi. Shahbazi (*1971) zeigt in ihren Werken, wie sich Gesellschaft, Kultur sowie Politik auf vielfältige und komplexe Weise ineinander verschränken. Als Künstlerin interessiert sie sich dabei für Orte, denen Widersprüchlichkeiten und Gegenläufigkeiten anhaften.

Die Fotografien und Videos erwachsen aus dem Involviertsein der Künstlerin in die jeweilige soziokulturelle Situation. Sie benutzt das dokumentarische Format, um den Fokus auf gesellschaftliche und politische Phänomene zu lenken. Solmaz Shahbazi zeigt vielfältige urbane Entwicklungen auf und untersucht dabei die architektonische, städtebauliche und sozialpolitische Dimension. Sie verdeutlicht die widersprüchlichen Facetten einer Stadt oder Region und forscht den Zusammenhängen von Identität und Urbanität nach.

Der Globalisierungsschub der letzten Jahrzehnte hat Funktion und Raumbild von Städten entscheidend verändert. Vor allem in den Städten, vollzieht sich ganz konkret ein tief greifender gesellschaftlicher und technologischer Wandel. Waren 1975 lediglich 38% aller Menschen Stadtbewohner, so leben heute mehr Menschen in städtischen Ballungszentren als im ländlichen Raum. 2030 werden es gar 3/4 der Weltbevölkerung sein. Von den weltweit 30 Megastädten liegen allein 20 im asiatischen und arabischen Raum sowie in Lateinamerika. Die Probleme, auf globale Anforderungen vor dem Hintergrund lokaler Voraussetzungen zu reagieren, bestehen nicht nur für die Metropolen der hoch entwickelten Industriegesellschaften, sondern betreffen Großstädte weltweit. Insbesondere jene Megacities der Schwellenländer, die sich noch in unabgeschlossenen Modernisierungs- oder Transformationsprozessen befinden, sind von den Schwierigkeiten betroffen.

Die Fotografien und Videoarbeiten von Solmaz Shahbazi geben sich nicht damit zufrieden, diese Katastrophen zu bilanzieren oder anklagende Szenerien zu zeigen, es sind ebenso wenig klassische Bilder, noch kollektive Sehnsuchtsbilder einer heilen Welt. Das Video "Persepolis", 2005 ist der dritte Film einer Trilogie über das Leben in der iranischen Hauptstadt Teheran. Der Titel assoziiert die alte Residenzstadt des antiken Perserreiches, ist jedoch angelehnt an den Namen des Gebäudekomplexes, in dem die Aufnahmen entstanden und in dem die Künstlerin während ihrer Aufenthalte lebt. Die Anfangssequenz ist eine Nachtaufnahme eines der Gebäude, einzelne Wohnungen werden mit ihren Bewohnern in Nahsicht gezeigt. Es folgen dann Innenaufnahmen der Wohnungen. Es gibt keine Kamerafahrt, sondern Bilder der Einrichtung, Sitzgelegenheiten, Tische, Lampen, Fotos etc. Zu sehen sind nur die Spuren des Lebens.

Die Verbreitung von "Gated Communities", also private, in sich geschlossene, durch Zäune oder Mauern abgegrenzte Wohnsiedlungen, zeigt Solmaz Shahbazi in der zweiteiligen Videoarbeit "perfectly suited for you" 2005. Die Künstlerin konzentriert sich dabei auf Siedlungen in und um Istanbul und lässt die aus den Gated Communities erwachsenden Spannungen und sozialen Probleme anklingen. Auch hier sind die Interviewten nur zu hören, während jedoch hauptsächlich einförmige, trostlose, abweisende Hochhausburgen, wuchernde Reihenhaussiedlungen und Bauruinen zu sehen sind.

Die Fotografien und Leuchtkästen von Solmaz Shahbazi entstanden an den unterschiedlichsten Orten der Welt. Es geschieht auf den Fotos nichts Spektakuläres. Die menschenleeren Orte veranschaulichen eine zersiedelte, durch politische Bedingungen geformte Landschaft. Ein Panorama hat nichts Romantisches mehr, sondern verdeutlicht vielmehr die ernüchternde Realität einer Situation.

Solmaz Shahbazi verhandelt in ihren Arbeiten die Wechselbeziehung zwischen Politik, Ökonomie, sozial-gesellschaftlichen Phänomenen und Ästhetik. Sie nähert sich der Realität und untersucht mit ihren Fotografien und Videoaufnahmen, wie es in einer Zeit des Wandels, um einen bestimmten kulturellen Unterschied bestellt ist. Die Dimension des Metaphorischen ist ein wesentlicher Bestandteil jener dokumentarischen Beschreibung. Das Resultat sind Bilder, die versuchen eine zeitlose Wirklichkeit zu rekonstruieren. Letztlich verdeutlichen die Arbeiten von Solmaz Shahbazi auch den Kosmopolitismus der Künstlerin, einen im Zuge der Globalisierung immer häufiger auftretenden Zustand. Bernd Reiß


Solmaz Shahbazi
12. Juli bis 3. August 08