Nicht nur ein Bild, sondern eine ganz Welt

"Nicht nur ein Bild, sondern eine ganz Welt" ist der Titel der ersten Ausstellung im Kunstraum Niederösterreich im Jahr 2012. Die Schau widmet sich dem Medium Zeichnung als oft vielschichtige Form des Erzählens und versucht die Grenzen zu anderen künstlerischen Gattungen auszuloten. Inspiration für den Titel lieferte der Comic "Die Zeichnung" von Marc-Antoine Mathieu, dessen Protagonist, dem Maler Émile, sich in der Beschäftigung mit einer zunächst unscheinbaren, kleinformatigen Zeichnung eine eigene, komplexe Welt erschließt.

Im Kontext der Ausstellung bildet dieser Comic gleichsam den Ausgangspunkt des Erzählstrangs, eines Brückenschlags von der Zeichnung zu anderen Medien und Formen der Kunst wie der Performance, dem Film, der Animation. Die zehn eingeladenen KünstlerInnen wagen sich in der Verwendung des Mediums Zeichnung an bildhafte Darstellungen, Gegenständlichkeit und Narration, wobei die Zeichnungen selbst zum Mittel der Kommunkation werden.

Die Wandelbarkeit des Mediums Zeichnung zeigt die Wiener Künstlerin elffriede anschaulich in ihren elffriede.sounddrawings, für die sie ihre Zeichnungen von anderen KünstlerInnen vertonen lässt und dann die Zeichnungen zum Sound animiert. elffriede arbeitet an den Schnittstellen unterschiedlicher Medien und macht Arbeitsprozesse sichtbar. So sammelt sie im Rahmen der Ausstellungseröffnung Begriffe von den BesucherInnen und übersetzt diese sprachlichen Vorstellungen in Zeichnungen, die ihrerseits in den Ausstellungskontext eingebettet neue Bedeutungen eröffnen können.

Die oft in Serien gearbeiteten Zeichnungen des italienischen Künstlers Davide Savorani greifen Mythen und Archetypen auf, die immer wieder in seinen performativen Ritualen auftreten. Savorani beschäftigt sich aber auch mit möglichen Überschneidungen von Zeichnung und Performance und der Integration mehrerer Zeitebenen im Bild. Im Rahmen der Eröffnung hält eine Gruppe von ZeichnerInnen eine von ihnen beobachtete Aktion auf Papier fest, um in einem zweiten Schritt - nach Eintreffen der BetrachterInnen dieser Aktion – den Prozess der Wahrnehmung durch die BesucherInnen hinzuzufügen. Auf dem Papier sind nun zwei an sich miteinander unvereinbare Zeitebenen verbunden.

Eine andere Darstellungsmöglichkeit von Zeit und Bewegung in der Grafik thematisiert Nikolaus Gansterer in seiner Werkserie "Am Zug/Training", in der er aus dem fahrenden Zug beobachtbare Details zeichnerisch festhält. Der Anspruch des Festhaltens von Wirklichkeit steht dabei in Kontrast zur Unvollständigkeit und Bruchstückhaftigkeit der Abbildungen.

Mit ihren floralen Zeichenobjekten überschreitet Iris Christine Aue die Grenzen des zweidimensionalen Blattes zum dreidimensionalen Raum. Unter dem Titel "Wachsender Widerstand" pflanzt sie ausgewählte Wildpflanzen wie Löwenzahn oder Breitwegerich aus ihren in Anlehnung an den Forscher Alexander von Humboldt entstandenen Herbarien in den Ausstellungsraum.

Mit Möglichkeiten der Neukonstruktion von Wirklichkeit beschäftigen sich die Arbeiten von Sophie Dvořák und Nils Olger. Olger übersetzt in der Arbeit "Die sind nicht gerade" die neu erworbene taktile Wahrnehmungsform seines erblindeten Großvaters in Zeichnungen, die er wiederum in Beziehung zu fotografischen Aufzeichnungen von Gesprächssituationen mit Olaf Jürgenssen und seinen vom Leben gezeichneten Händen setzt. Dvořák reproduziert zeichnerisch immer wieder kehrende Motive aus Tageszeichnungen, isoliert sie aus ihrem Kontext und montiert sie zu Schautafeln mit Titeln wie "I: Agree / II: Demonstrate / III: Arrest". Damit eröffnen sich den BetrachterInnen neue Denkmöglichkeiten und das Hinterfragen massenmedialer Bildproduktion.

Auch Jochen Höller arbeitet mit vorgefundenen Text- und Bildelementen, die er einem bestehenden Kontext entnimmt und zu neuen Ordnungen zusammensetzt. Für die Collage "(Geräuschkulisse) Superman – Chaos im Weltall I" beispielsweise schneidet er Soundwörter aus Comic-Heften aus und arrangiert sie losgelöst von der Narration zu einer neuen Bildkomposition.

Andrea Lüth isoliert einzelne Elemente aus Bildern, Situationen oder Texten und stellt sich der Herausforderung, diese zeichnerisch soweit als möglich auf das Wesentliche zu reduzieren. Je nach Anforderung lassen sich die einzelnen, teilweise verfremdeten Elemente miteinander, aber auch mit anderen Medien wie Malerei und Animationen zu neuen Bedeutungskomplexen zusammenstellen.

Erst bei genauer Betrachtung lässt sich in Bella Angoras Zeichnungen ein Moment der Veränderung ausmachen, der Zerfallsprozess ihrer Figuren in kleinste Einzelteile wahrnehmen. Im Hinblick auf die oft zermürbende Konkurrenz im Kunstbetrieb scheinen diese Figuren ihre Form zu verlieren. In ihrer Installation "Strich/Code und Performance/Pop" lässt Bella Angora aber auch die Grenzen zwischen ihren Zeichnungen, Pop-Songs und Materialien früherer Performances verschwimmen.

Edda Strobls Zeichnungen entstehen oft in Interaktion mit Band- oder Performance-Projekten oder im Rahmen des Comics-Kollektivs Tonto. In der Ausstellung zeigt Strobl eine Auswahl an Zeichnungen und anderen Materialien, die gleichsam als Momentaufnahme aus dem Arbeitsprozess für den Trickfilm "Geisterkrieger" stammen. So können die BesucherInnen die Entstehung einer Parallelwelt begleiten, die den Blick in eine unsichere, unheimliche Zukunft eröffnet.

So wie sich die Zeichnung Émiles bei jedem neuen Hinschauen verändert, beinhaltet auch jede der hier gezeigten Arbeiten einen möglichen Wandel, ein Moment der Veränderung, ein denkbares Umdenken.

KünstlerInnen: Bella Angora, Iris Christine Aue, Sophie Dvořák, elffriede, Nikolaus Gansterer, Jochen Höller, Andrea Lüth, Nils Olger, Davide Savorani, Edda Strobl

Nicht nur ein Bild, sondern eine ganz Welt
20. Januar bis 17. März 2012