Morgen Stalingrad!

20. Mai 2019 Kurt Bracharz
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Die Heuchelei wird nachgerade unerträglich. Der Dümmste der völkischen Regierungsriege ist in eine Falle getappt und hat ausgesprochen, was jeder, der es wissen wollte, längst wissen konnte: dass seine Partei allzeit bereit ist, Österreich zu verkaufen, wenn nur das Angebot stimmt, und am liebsten an die Russen. Straches Größenphantasien („Krone“ kaufen, Strabag zerstören, ORF orbanisieren) sind wohl zum Teil seinem Alkoholkonsum an jenem Abend zuzuschreiben, sonst aber auch nüchterne Parteilinie. So erfreulich es ist, dass die FPÖ dank diesem Videoband aus der Regierung geflogen ist, so lächerlich ist das große moralisierende Getue insbesondere der Türkisen und Schwarzen, als hätten sie jetzt gerade unvermutet in einen Abgrund von Landesverrat geblickt. Eine Ironie der Geschichte ist, dass der Kanzler jetzt einen Bonus dafür kriegt, diese Koalition aufgelöst zu haben – schließlich war er es, der sie uns eingebrockt hat und lange Augen und Mund vor „Einzelfällen“ verschlossen hat.

Der FPÖ-Spitzenkandidat für die Europawahl Harald Vilimsky sagte seine Teilnahme an dem großen Treffen der Rechtspopulisten in Mailand ab. Sie hoffen auf einen großen Wahlerfolg bei den Europawahlen. Ein sehr interessierter Nichtwahlberechtigter sagte zur „Neuen Züricher Zeitung“: „Etwa ein Drittel der Mitglieder des Europaparlaments wird aus dem Lager der Nationalisten kommen, vielleicht mehr. Die Dynamik ist auf unserer Seite. Und noch wichtiger: Es gibt die Möglichkeit, im Parlament eine ,Super Group’ zu bilden. Und vergessen Sie nicht Nigel Farage und die Brexit-Partei.“ Auf den Einwand, ein Drittel sei keine Mehrheit, sagte er: „Nach der Wahl wird jeder Tag in Brüssel Stalingrad sein. Die Nationalisten werden zusammenarbeiten. Durch die Vernetzung wird etwas möglich sein, was ich ,command by negation’ nenne: Du kannst Deinen Willen nicht durchsetzen, weil du keine Mehrheit hast, aber du kannst Dinge blockieren. Dadurch verändert sich die Situation grundlegend.“

Die merkwürdig verdrehte Verwendung der Metapher „Stalingrad“ zeigt schon, dass der Mann kein Europäer ist. Stephen Kevin Bannon reist seit März 2018 in Europa umher und berät die Völkischen für die Wahlen am 28. Mai. Er hält sich für eine NGO und einen „Beobachter“, der angeblich nicht bezahlt wird und nicht berät, sondern zum Beispiel mit den Spitzenleuten der AfD nur zu einem Gespräch zusammentrifft, bevor er zu Marine Le Pen weiterreist. Steve Bannon war der Leiter der Fake News-Fabrik Breitbart News Network, Trump-Berater und Chefstratege im Weißen Haus, bis Trump ihn wegen seiner Vorwürfe schasste, der Trump-Schwiegersohn Jared Kushner wasche Geld. Bannon hatte sich unter anderem in den Nationalen Sicherheitsrat eingeschmuggelt, indem er Trump stillschweigend ein Dekret zur Unterzeichnung vorgelegt hatte.

„Stalingrad“ könnte, von der Geschmacklosigkeit seiner Verwendung als Metapher für totales Scheitern einmal abgesehen, eigentlich nur für ein Desaster der Rechtsextremen gebraucht werden. Wenn Bannon das Wort gerade für das Gegenteil verwendet, liegt es vielleicht daran, dass er das ist, als was er Angelika Merkel bezeichnet: „Complete and total phony.“