Mitleidlose Demaskierung des Bürgertums - Claude Chabrol wird 80

21. Juni 2010 Walter Gasperi
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Mehr als 60 Filme hat der am 24. Juni 1930 in Paris geborene Claude Chabrol in seiner gut 50-jährigen Karriere gedreht. Wiederkehrendes und bestimmendes Thema ist dabei der kühl-distanzierte, mitleidlose Blick hinter die Fassaden des Bürgertums und die Aufdeckung von Scheinmoral.

Als Apothekersohn in Paris geboren wuchs Claude Chabrol bei seinen Großeltern auf dem Land (in Sardent) auf. Sein Weg ging zunächst nicht in Richtung Film, denn er begann an der Sorbonne Literaturwissenschaften, dann Jura und - auf Wunsch der Eltern - Pharmazie zu studieren. Seine Leidenschaft galt aber schon lange dem Kino. Mit 13 betrieb er einen Filmclub im Dorf, in Paris wurde er zum eifrigen Besucher der Cinémathèque francaise und von André Bazins Cineastenzirkel im "Café de la Comèdie".

So lernte er Francois Truffaut, Eric Rohmer und Jean-Luc Godard kennen, mit denen er einige Jahre später zu den Begründern der Nouvelle vague werden sollte. Wie diese begann er 1953 als Filmkritiker bei den legendären "Cahiers du Cinéma" und verfasste 1957 zusammen mit Rohmer eine Monographie über Alfred Hitchcock (1957), dessen Filme zusammen mit denen von Fritz Lang Chabrols Werk entscheidend beeinflussten.

Mit einer Erbschaft seiner Frau drehte er 1958 in Schwarzweiß "Le beau Serge", mit dem er sein theoretisches Filmwissen nicht nur in die Praxis umsetzen konnte, sondern auch den Film schuf, der als der Beginn der Nouvelle Vague gilt. In der Schilderung eines tristen ländlichen Milieus, in das der Protagonist nach Jahren in der Großstadt Paris zurückkehrt, ist noch ein Einfluss des Neorealismus spürbar, der sich in den späteren Filmen Chabrols nicht mehr findet.

Auf dieses viel beachtete Debüt landete er mit der Satire "Les cousins - Schrei, wenn du kannst" (1959) einen weiteren Erfolg, drehte dann aber eine Reihe von Filmen, die die Kritiker nicht begeisterten und denen vorgeworfen wurde, sich an den Interessen der Filmindustrie zu orientieren. Aber Schwankungen war das Werk Chabrols immer ausgesetzt, war er – im Gegensatz zu Perfektionisten wie Stanley Kubrick oder Terrence Malick – doch immer der Ansicht, dass es besser sei einen schlechten Film zu drehen als gar keinen.

Zu einem Höhepunkt in seiner Karriere wurden dann aber die Filme, die er Ende der 60er Jahre drehte: Eine Einheit stellen "La femme infidèle" (19698), "Que la bête meure" (1969), "Le boucher" (1969), "La rupture" (1970), und "Juste avant la nuit" (1970/71) hinsichtlich Milieu, Personenkreis und Thematik dar: Chabrol blickt darin - zumeist im Gewand eines Krimis auf das gehobene Bürgertum und macht unter der glatten Oberfläche des schönen Scheins, die durch die Ruhe und Eleganz der Inszenierung noch betont werden, Intrigen, Hass und Eifersucht sichtbar. Kühl und emotionslos ist dabei Chabrols Inszenierung und bietet dem Zuschauer keine positive Identifikationsfigur, da alle Figuren teil an der Schuld haben, mehr oder weniger böse, aber nie wirklich gut sind.

Eine folgende Serie schwächerer Werke wurde nur mit "Violette Nozière" (1978) und "Les fantomes du chapelier - Die Fantome des Hutmachers" (1982) unterbrochen. Wie alle überzeugenden Filme Chabrols werden auch diese neben dem genauen und mitleidlosen Blick aufs Milieu von starken Darstellern, in diesem Fall von Isabelle Huppert und Michel Serrault, getragen. Auf die bissige Abrechnung mit dem Fernsehen in "Masques" (1987), ließ er mit "Une affaire de femmes" (1988) eine Abrechnung mit der moralischen Verlogenheit des Vichy-Regimes folgen.

Kennzeichen seiner Filme ist auch die Arbeit mit einem über mehrere Filme und Jahre konstanten Team. Das geht vom Drehbuchautor Paul Gégauff über den Kameramann Jean Rabier und den Komponisten Pierre Jansen bis zu den Schauspielern. So spielte Stéphane Audran, mit der Chabrol von 1964 bis 1980 verheiratet war, in rund 20 Filmen ihres Gatten, Isabelle Huppert setzte er ab "Violette Nozière" immer wieder ein, während Gerard Depardieu erst jüngst in "Bellamy" (2009) sein Debüt in einem Chabrol-Film gab.

Auch mit zunehmendem Alter ist der Workaholic Chabrol, der immer noch jährlich rund einen Film dreht, seinem Thema treu geblieben, doch blickt er zunehmend gelassener auf die Heuchelei des Bürgertums. Komödiantische Züge finden sich in "La fleur du mal" (2003) ebenso wie in "L´ivresse du pouvoir – Geheime Staatsaffären" (2006), in dem er, inspiriert vom realen Bestechungsskandal um das Mineralöl-Unternehmen Elf Aquitaine, voll Ironie und Sarkasmus von Macht und Intrigen erzählt. – Meisterwerke sind das kaum mehr und die großen Filme der Gegenwart schauen anders aus, aber geschliffene und hintersinnig-böse Unterhaltung vermag der Franzose auch noch im Alter zwar nicht mit jedem Film, aber doch hin und wieder zu bieten.