Mit oder ohne Darm

27. Februar 2012 Kurt Bracharz
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Vor der rapiden Ausbreitung des Döners war die Currywurst das beliebteste deutsche Fast Food. Bei ihr ist ein im kulinarischen Bereich oft auftretendes Phänomen zu beobachten: Auf der einen Seite gibt es eine anhaltende Auseinandersetzung darüber, was in der Entstehungszeit um 1950 die originalen Zutaten waren und welche Wurst heute die "authentische" ist, und andererseits herrscht inzwischen in genau dieser Hinsicht eine fast völlige Beliebigkeit, jedenfalls außerhalb Berlins.

Historisch gesichert ist nicht einmal der Erfinder der Herstellung von Wurst ohne Darm. Der sächsische Fleischer Max Brückner soll seine Methode dafür 1949 nach Westberlin gebracht und die Wurst als "Spandauer ohne Pelle" verkauft haben. (Heute hat das daraus hervorgegangene Unternehmen "Maximilian" 250 Filialen in Berlin.) Aber auch ein "Wurstmaxe" namens Mosgraber will zur selben Zeit aus seinem Wurstkessel vor dem Großkino Titania-Palast Wurst ohne Pelle angeboten haben, nachdem er bemerkt hatte, dass das geformte Brät nicht zerfiel, wenn man es in 94° C heißes Wasser gab, statt es wie üblich bei 78° C zu brühen.

Dokumentarisch nachweisbar ist erst die Eintragung von Herta Heuwers Currywurstsoße unter dem Namen "Chillup" am 21. 1. 1959 im deutschen Patentamt, Warenzeichen 721319. Die Inhaberin einer Imbissbude soll 1949 das "Steak mit Ketchup" der amerikanischen Besatzer für ihre Kundschaft durch eine Berliner Dampfwurst mit einer selbst zusammengerührten Soße ersetzt haben, für deren Zusammensetzung sie sich möglicherweise am Aufdruck einer US-Ketchup-Flasche orientierte. Einer Berliner Zeitung beschrieb sie drei Jahrzehnte später den Tag der Erfindung so: "Es war in einer regnerischen Herbstnacht des Jahres 1949, am 4. September. Es goss kleene Kinderköppe, keen Mensch war an meiner Bude. Aus Langeweile rührte ich Gewürze mit Tomatenmark zusammen. Und es schmeckte herrlich."

Anfang der 1950er Jahre war die Berliner Currywurst jedenfalls eine Brühwurst aus hellem Brät und ohne Darmhülle. Die Alternative dazu, die Berliner Currywurst mit Darm, wird mit einer Dampfwurst oder Bockwurst zubereitet. Am Imbissstand des Deutschen Currywurstmuseums in Hamburg werden beide Sorten für je 2,20 Euro angeboten, und es gibt dort auch Curry-Bratwurst, Currywurst vegetarisch und Geflügel-Currywurst. Auf "Wikipedia" dekretiert allerdings derzeit ­– Februar 2012 – jemand: "Bratwürste werden für Currywurst nicht verwendet."

Da sind die Poster von über 60 Currywurst-Rezepten auf chefkoch.de ganz anderer Meinung. Um nur die ersten paar zu zitieren: Sie verwenden für ihre auch sonst von der Berliner Currywurst abweichenden Kreationen Grillbratwurst, Weißwurst, Grillwürstchen, Nürnberger Bratwürste, Thüringer Bratwürste, "Würstchen nach Wahl", Rostbratwürstchen, "dicke Rindfleischbratwürste", "feine Kalbsbratwürste", Bockwurst oder "ungebrühte Bratwürste". Einige geben Rezepte zum Selberwursten an und nicht wenige empfehlen "Currywurst" als die richtige Wurstsorte für Currywurst.

In einem Interview mit dem deutschen "Gault Millau Magazin" nannte Raimund Ostendorp vom "Profi-Grill" in Wattenscheid – also im Ruhrgebiet, wo man Bratwürste verwendet – als Kriterien für eine gute Wurst: "Wenig Wasser, wenig Fett, Naturdarm. Und nicht vakuumverpackt sollte sie sein, denn wenn keine Luft an die Wurst kommt, wird sie im Geschmack leicht säuerlich. Eine gute Wurst erkenne ich schon daran, dass sie eine längere Bratzeit aushält, sie schrumpelt nicht und wird nicht runzelig." Und über Pommes: "Ich nehme eine holländische Fritte, die vorblanchiert ist und jeden Tag frisch angeliefert wird. Die Ware muss dann erst mal über ein paar Stunden auf Raumtemperatur gebracht werden. Sie können sie nicht einfach so gekühlt in die Fritteuse schmeißen, den Temperaturschock vertragen Pommes einfach nicht."

In Hamburg, wo man auch einst die Currywurst erfunden haben will, gibt es heute das Wurstrestaurant "Curry Queen", und 2010 erschien bei Edel Germany, Hamburg, das Buch zum Lokal: "Curry Queen. Rezepte aus dem Wurstrestaurant" von Sascha Basler und Bianka Habermann. Es enthält zwei Currywurst-Rezepte, das eine für ein "Pikantes Currywurst-Süppchen", bei welchem auf dem Tellerrand einer mit Sternanis und Curryessig gewürzten Tomatensuppe gegrillte Kalbsbratwürstchen am Spieß liegen, das andere für "Currywurst mit selbst gemachten Pommes frites "Rot-Weiß"", mit Anleitungen für selbst zubereitete Mayonnaise, Ketchup und Pommes; die Wurst dazu sind "Kalbswürste à 100 g", die braun gegrillt, in Scheiben geschnitten und "mit dem warmen Ketchup benetzt und mit dem Currypulver Curry Queen bepudert" werden; die Mayonnaise kommt auf die Pommes oder wird extra in einem Schälchen serviert.

Keine verbindliche Vorschrift gibt es auch hinsichtlich des Zerteilens der Currywurst. Meist wird sie geschnitten vorgelegt, im Kreuzberger "Imbiss am Kotti" sogar noch mittels Schere, sonst mit dem Messer (aber auch hier auf verschiedene Art, in Scheiben oder nur einmal mittendurch wie bei "Krasselt’s" in Steglitz) oder mit dem elektrischen Currywurst-Schneider, der 1963 von Friedheld Selbach in Radevormwald erfunden wurde.

Fast Food reizt immer wieder Spitzenköche, eigene, hochwertige Varianten zuzubereiten, also etwa bei der Currywurst alle Bestandteile, nämlich Wurst, Mayonnaise, Ketchup, Currypulver und Pommes, aus bestem Grundmaterial selbst zu verfertigen. Das Foto zeigt Jodok Dietrichs "Currywurst 2012" aus dem Dornbirner Restaurant "Innauer".