Mit Liszt und Tücke

7. Juli 2010 Rosemarie Schmitt
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Sollten Sie ein Familienmitglied oder gar ein verkanntes Genie als Nachbar haben, das partout an dem Glauben festzuhalten versucht, ein pianistisches Wunderkind zu werden, und sollten Sie von dem stundenlangen Üben und Etüdenspiel am Ende Ihrer nervlichen Belastbarkeit sein, dann habe ich die rettende Idee für Sie: Vergraulen Sie die Lust am Üben mit Liszt und Tücke!

Dazu benötigen Sie eigentlich ausschließlich Liszt, denn das ist die Tücke! Schenken Sie diesem fleißigen Enthusiasten doch einfach die aktuelle CD des bulgarischen Pianisten Vesselin Stanev, die 12 "Études d’exécution transcendante" von Franz Liszt. Es könnte die Hinrichtung, die exécution der Träume dieser pianistischen Laufbahn sein. Denn was Paganini mit seiner Geige gewesen ist, war Liszt mit seinem Klavier: ein Teufel! Vorausgesetzt, er hat seine eigenen Werke auch selbst gespielt. Eigentlich ist Liszt ein Gott für jeden Pianisten, doch in seinen Werken steckt der Teufel. Hat ein Klavierschüler auch nur den kleinsten Funken Ehrgeiz und sich vorgenommen, irgendwann einmal dem "lisztigen" Gott des Pianofortes nachzueifern, so wirft er das Handtuch und seine Noten gleich hinterher, nachdem er diese Aufnahme der Liszt-Etüden gehört hat.

Vesselin Stanev spielt diese so unerhört gut, so klar, so rein und sicher, daß ein jeder Anfänger und so manch ein Professioneller sich eingestehen muß, dieses Niveau niemals , auch nicht annähernd erreichen zu können. Doch mit weniger zufrieden sein, wer ist dazu schon in der Lage? Es ist mir ein Rätsel, wie Stanev es schafft, diese teilweise so temperamentvollen Etüden mit solch einer stoischen Ruhe zu interpretieren. Und daß Franz Liszt Temperament hatte, das steht außer Frage. Er war das, was man einen Salonlöwen nennt und hatte zu jener Zeit - es war der Anfang des neunzehnten Jahrhunderts - in Paris rasch den Ruf eines Schwerenöters. Und die "so schwer in Nöten" und plötzlich so unglücklich verheirateten Ehefrauen suchten nur allzu gerne bei ihm Beistand und Trost. Liszt half natürlich gerne, wo immer er nur konnte und häufig auch an mehreren Ecken und Enden. Und dabei schwankte er ständig zwischen den Wünschen, Musiker oder Priester zu werden. Am Ende blieb es eben nur ein Schwank. Und Gott sei Dank!

Nicht immer ist er so lebensfroh gewesen. Als sein Vater 1827 starb - Franz Liszt war gerade erst 16 - fesselte ihn eine Depression monatelang ans Bett. So war er auch nicht in der Lage, sich seinen Lebensunterhalt durch das Klavierspiel und den Unterricht zu verdienen. Die Folge waren logischerweise zusätzliche finanzielle Sorgen, und er war gezwungen, seinen Flügel zu verkaufen. Dies deprimierte ihn noch mehr. Erst als er vier Jahre später im Jahre 1831 den damals schon berühmten Teufelsgeiger Niccolo Paganini hörte, begann Liszt wieder zu leben. So sorgte sinnigerweise ausgerechnet ein Teufel dafür, daß Liszt sich seinen Flügel wieder verdienen konnte.

Die Kreise, in denen Franz Liszt in Paris verkehrte, waren die wohl faszinierendsten und schillerndsten jener Zeit. Dabei begann seine Zeit in Paris gar nicht so vielversprechend, denn der damalige Direktor des dortigen Konservatoriums, Luigi Cherubini, lehnte die Aufnahme Liszt’s ab. Er begründete dies damit, daß Ausländer nicht aufgenommen würden. In Wahrheit jedoch hegte der große Cherubini eine große Abneigung gegen sogenannte Wunderkinder. Und Liszt war zweifelsohne ein solches Kind. Richtig erkannt, Luigi Cherubini! Schweife ich etwa ab? Ach ja, die Kreise, in denen Liszt verkehrte. So gehörten zu seinen treuesten Freunden etwa Frédéric Chopin und dessen Lebensgefährtin, die Schriftstellerin George Sand (von den beiden muß ich Ihnen bei passender Gelegenheit mal was erzählen!). Die Liste seiner Freunde und Bekannten liest sich wie ein Künstlerlexikon: Heinrich Heine, Frédéric Chopin, George Sand, Hector Berlioz, Victor Hugo, Honoré de Balzac, Alexandre Dumas, Giacomo Meyerbeer, Vincenzo Bellini, Gioachino Rossini, ja, und selbst der gute alte Cherubini gehörte dazu.

Mit Frédéric Chopin jedoch verband Liszt immer eine ganz besondere Freundschaft. Nicht nur einmal stellte Chopin seinem ungestümen Freund seine Gemächer für ein Schäferstündlein zur Verfügung. Aber auch künstlerisch schätzten die beiden sich sehr, und sie sahen sich niemals als Rivalen, waren sie doch beide Pianisten. Chopin mochte den um ein Jahr älteren Liszt auf Anhieb, erkannte sein Genie und führte ihn nur allzu gerne in die so illustre Gesellschaft ein. Eines Abends wurde Chopin während eines Besuches in einem Salon, in dem er manchmal verkehrte, gebeten, zu spielen. Selbstverständlich sagte er zu, äußerte jedoch die kuriose Bitte, im Dunkeln spielen zu dürfen. Natürlich gab man dieser Laune des Musikers und Künstlers nach. Aber wie groß war das Erstaunen und die Überraschung, als noch während der Applaus tobte und die Zuhörer jubelten, das Licht nicht etwa Chopin, sondern seinen Freund Franz Liszt am Piano offenbarte. Oh là là, das war Paris und der junge Liszt!

Etwa zwanzig Jahre später - Liszt lebte nun in Weimar - komponierte er diese halsbrecherischen "Hinrichtungs-Etüden", die "Études d’exécution transcendante". Es war das Jahr 1851. In den USA wurde die weltweit erste Fabrik für Speiseeis in Betrieb genommen, die erste "New-York-Times“ erschien, die 1. Weltausstellung eröffnete in London, Verdis Rigoletto wurde in Venedig uraufgeführt, der erste Teil von "Onkel Toms Hütte" erschien, der Professor für Straf-und Völkerrecht Franz von Liszt wurde in Wien geboren, Albert Lortzing starb in Berlin, und Franz Liszt schrieb in Weimar diese unglaublichen Etüden.

Sollten Sie sich nun entschließen, diese CD aus purer "Liszt" zu verschenken, und sollte der Plan aufgehen, und Sie und Ihre Nerven zur Ruhe kommen, so danken Sie nicht nur mir, sondern danken Sie Sony-Music für diese außergewöhnliche Aufnahme und danken Sie besonders Vesselin Stanev! Am besten, Sie kaufen die CD gleich zweimal, denn ich bin sicher, Sie werden dieses perfekte Klavierspiel lieben und immer wieder hören wollen.

So schön können Etüden klingen! Mögen Sie alle Ruhe und Entspannung finden!
Herzlichst, Ihre Rosemarie Schmitt