Michaela Melián. Electric Ladyland

Die Münchner Künstlerin Michaela Melián (geb. 1956) ist dem Lenbachhaus seit langer Zeit eng verbunden. Sie ist mit Werken in der Sammlung des Museums vertreten und war an zahlreichen Wechselausstellungen beteiligt. Dem Münchner Publikum ist sie durch viele Projekte in hiesigen Institutionen und im öffentlichen Raum gut bekannt. Auch überregional und international ist Melián künstlerisch aktiv. Nun richtet ihr das Lenbachhaus die erste museale Einzelausstellung in München aus.

Melián ist bildende Künstlerin und Musikerin. Sie hat seit 2010 eine Professur für Zeitbezogene Medien an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg inne und ist Gründungsmitglied der Band F.S.K. In ihren multimedialen Rauminstallationen, die Filme, Fotografien, Zeichnungen, Objekte, Musik und Texte einschließen, stellt Melián Fragen nach der Historizität von Orten, nach Gedächtnis und Sprache sowie diesen innewohnenden Momenten von (Re-)Konstruktion und Projektion. Melián spannt aus einer Vielzahl kulturgeschichtlicher, popkultureller und gesellschaftspolitischer Referenzen ein komplexes Netz an Bedeutungen, Erzählungen und möglichen Lesweisen auf.

Inhaltliches und räumliches Zentrum von "Electric Ladyland" ist die gleichnamige Installation, die Melián für diese Ausstellung entwickelt hat, und die die Hälfte des Kunstbaus einnimmt. Sie ist als Environment eigens auf den Raum, seinen Charakter und seine Proportionen zugeschnitten und besteht aus einem vielschichtigen Gefüge aus Ton einerseits und Zeichnungen, Objekten und Licht anderseits – ein für Melián typisches Amalgam der Gattungen bildende Kunst und Musik. Die Künstlerin führt ein Anliegen fort, das sich konsequent durch ihr Werk zieht: von der Geschichtsschreibung übergangene Frauen, die für die Kulturgeschichte eine Rolle spielten.

In "Electric Ladyland" geht es indes nicht um eine historische Persönlichkeit, sondern um eine fiktive, um die Kunstfigur der Olympia aus Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" von 1881 – ein Werk am Beginn der Pariser Moderne. Die mechanisch bewegliche Puppe Olympia wächst aufgrund ihrer hochentwickelten körperlichen Fähigkeiten ihrem menschlichen Konstrukteur über den Kopf und wird letztlich von menschlicher Hand wieder zerstört. Melián nahm eine Aktualisierung des Stückes vor, indem sie ausgehend von der Arie der Olympia einen neuen Soundtrack komponierte. Daneben sind Zeichnungen entstanden, inspiriert von laborhaften Situationen durch die Erfindungsgeschichte technischer Gerätschaften und körperlicher Entwicklungen von der Renaissance bis hin zu Science-Fiction-Szenarien.

Ganz im Sinne einer Kulmination dieser Thematik webt Melián bereits bestehende Werke wie "Andante Calmo" oder "Convention" in ihre neue Installation mit ein. Man sieht und hört bei "Electric Ladyland" immer nur einzelne Momente und Möglichkeiten eines nicht als statisch abgeschlossenen Werks. Selbst wenn man sich darauf einlässt, ist es unmöglich, alles gleichzeitig im Blick zu haben und zu erfassen. Die zur Installation gehörenden Sitzelemente laden die Besucher ein, sich ausführlich mit den visuellen und klanglichen Details dieser Arbeit zu beschäftigen. Während der gesamten Ausstellungsdauer finden zudem regelmäßig Performances statt, bei denen Meliáns neu geschaffene Komposition zu "Electric Ladyland" instrumental und gesanglich aufgeführt wird.

Ferner zeigt die Ausstellung signifikante frühere Werke von Michaela Melián wie "Speicher" (2008), "Föhrenwald" (2005), "Lunapark" (2011) oder "In a mist" (2014). "Föhrenwald" hat die wechselvolle Geschichte der heutigen Wohnsiedlung Waldram bei Wolfratshausen südlich von München zum Thema. In den späten 1930er Jahren als Arbeitermustersiedlung konzipiert, wurde sie nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Lager für Zwangsarbeiter, nach Kriegsende Camp für jüdische Displaced Persons und ab Ende der 1950er Jahren Wohnort für Heimatvertriebene. Auf Grundlage von Archivmaterial und Interviews mit ehemaligen und heutigen Bewohnern gestaltete Melián eine Dia-Sound-Installation, die in der aktuellen politischen Situation einen thematischen Widerhall findet.

Mit "Speicher", einer Rauminstallation aus Sound und Projektion, schuf Melián eine Hommage an eines der ersten intermedialen Kunstwerke aus Klang, Text und Bild – das nicht mehr existente "VariaVision – Unendliche Fahrt", konzipiert von Alexander Kluge, Edgar Reitz und Josef Anton Riedl im Jahr 1965 und realisiert mit dem Münchner Siemens-Studio für elektronische Musik, das sich heute in der Musikinstrumentenabteilung des Deutschen Museums befindet. Die Installation "Lunapark" besteht aus einer dynamischen Projektion urbaner Silhouetten. Zentrale Elemente der Installation sind Glasobjekte, die durch einen Diaprojektor bestrahlt, sich auf einem Vorhang widerspiegeln und geheimnisvoll entmaterialisiert wirken. Für den Sound verwendete Melián eine durch Gläser erzeugte Musik.

Die Glasbilder "In a Mist" greifen Motive utopischer Visionen der Moderne zwischen Neuer Ökonomischer Politik (Sowjetunion 1921) und der Weltwirtschaftskrise (USA 1929) auf. Die frei im Raum hängenden Gläser wurden in verschiedenen Verfahren mit klassischen Glasmalereifarben bearbeitet, bemalt, bestempelt, bedruckt und anschließend gebrannt. So zeigen die Gläser beispielsweise Zeichnungen des Moskauer Radioturms, erbaut 1922 von Wladimir Schuchow oder Textilmuster der Bauhaus-Künstlerin Anni Albers oder der russischen konstruktivistischen Künstlerin Warwara Stepanowa.

Die intensive Beschäftigung mit Klang und Musik führte zu einer regelmäßigen Zusammenarbeit der Künstlerin mit der Redaktion Hörspiel und Medienkunst des Bayerischen Rundfunks; die in dieser Zusammenarbeit entstandenen Hörspiele sind eigenständige Kunstwerke. Auch "Electric Ladyland" wird, wie zuvor schon "Föhrenwald", "Speicher" und "Memory Loops" als Hörspielfassung im Radio gesendet. Mit diesem Ansatz zielt Melián auf breitere mediale Öffentlichkeit ihrer Kunstwerke.


Michaela Melián. Electric Ladyland
8. März bis 19. Juni 2016