Messer, Pinsel, Schere, Licht

Alfons Pressnitz operiert am Zwischenraum der Katastrophe. Er hat in den letzten Jahren mehrmals sein Werkzeug gewechselt: hat sich, ausgehend von der Zeichnung, über die Malerei, der Collage zugewandt und ist schlussendlich und vorerst am Papierschnitt angekommen, um die immer gleiche Fragestellung zu untersuchen. Alfons Pressnitz misstraut der Idylle.

So schnipselte er die letzten Jahre am Seziertisch seines Wiener Ateliers schonungslos an der postkartengleichen österreichisch-arkadischen Landschaft. Riss sie auseinander, um sie neu zusammenzukleben zu Bildern, die von einer monströsen Vertrautheit sind: Ein übersteigertes Ideal zart zusammengesetzt zu einem verletzlichen Ganzen, welches alle wünschenswerten Charakterzüge auf einmal tragen soll. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass Dinge verrutschen, nicht ganz festsitzen, sich verselbständigen. Alfons Pressnitz misstraut auch dem Ideal. Sein bislang letztes Ölbild zeigt ein Fenster. Denn: kaum ist er aus Österreich weg, hat er in Berlin die Innenperspektive gewählt. In seinen neuesten Arbeiten, den Papierschnitten, fehlen mit scharfer Klinge ausgelöste Innenräume in großem schwarzem Papier. Aus dunklen Blättern taucht zerbrochenes Glas, verrottende Aktenschränke verweisen auf eine ehemalige, jetzt überflüssige Funktion, vermüllte Büroräume zeugen von der Zeit, nachdem die organisierende und archivierende Gesellschaft ihre triste Bühne verlassen hat. Die dargestellte Architektur beschreibt eine Beständigkeit, die zwar vom Menschen geschaffen ist, sich aber nach dessen Verschwinden eigenständig macht; sie überlebt still ihre eigentliche Bestimmung und wird zum Denkmal einer bereits vergilbten gesellschaftlichen Methodik, eine überflüssige, verstaubte, unbeachtete Erinnerung, die sich dem jetzt stur durch ihre physische Präsenz und ihren vergleichsweise entschleunigten Alterungsprozess widersetzt. In seinen Fensterobjekten, fein aus Karton geschnitzt und anschließend in die Wand eingelassen, geht Pressnitz noch einen Schritt weiter - ihnen ist die Vergänglichkeit bereits inhärent, das papierne Glas war nie intakt, und die Fragilität des Kartons unterstreicht die Transienz sowohl des repräsentierten als auch des tatsächlichen Objekts. Aber Alfons Pressnitz ist kein Pessimist, kein bernhardscher Lästerer oder Weltuntergangsschreier, sondern eher ein melancholischer Chirurg. In seinen Arbeiten fehlt die Wut genauso wie die Glasscherben im Papier. Das Entfernen ist für ihn gleichbedeutend mit dem Konstruieren, die Transzendenz der bedrohlichen Umwelt beruhigend. Seine Arbeit ist freundlich, korrekt und sauber und in einem Interview erklärt er sachlich, dass Zerstörung Ordnung brauche. Das vergebliche menschliche Bemühen, die Natur zu beherrschen und die Geschichte zu konservieren, wird in seiner Arbeit erstaunlich angstfrei behandelt. Seine Desaster haben die zerstörerische Kraft bereits verlebt. Es scheint, als wären sie ein Spezimen aus einem Herbarium: fürsorglich aufgesammelt, desinfiziert und aufbewahrt. Die Sinnlosigkeit des gesamtgesellschaftlichen Unterfangens der Kontrolle evoziert keine Verzweiflung, sondern begegnet uns im Kontrast als leise, aber deswegen nicht weniger kraftvolle, Selbstverständlichkeit, doppelt unterstrichen durch den formalen Charakter der Arbeit selbst. Alfons Pressnitz ist, wenn er seine Welt mit exaktem Messer wegseziert und dadurch erschafft, ein sympathischer Gott (in Weiß), der jedoch keinerlei Heilung verspricht; die Aussicht auf ein Paradies fehlt - natürlicherweise. Seine Welt ist eine schöne Aneinanderreihung von schwarz-weißen unschönen Tatsachen und für eine Postkarte gänzlich ungeeignet. Bianca Regl
Alfons Pressnitz - Entwo: Verortet, Entwortet 15. Oktober bis 13. November 2010