Mehr als "Les parapluies de Cherbourg" – Der französische Filmregisseur Jacques Demy

12. September 2011 Walter Gasperi
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1964 landete Jacques Demy mit "Les parapluies de Cherbourg" seinen größten Erfolg und gewann die Goldene Palme von Cannes. Die Vorgaben des amerikanischen Musicals trieb er weiter und ließ jede Dialogzeile singen. Doch nicht auf diesen Klassiker sollte man den 1990 im Alter von nur 59 Jahren verstorbenen Franzosen, dem das Filmfestival von San Sebastian seine heurige Retrospektive widmet, reduzieren.

Über die Kindheit Jacques Demys, der 1931 in Pontchâteau an der französischen Atlantikküste geboren wurde und in der Hafenstadt Nantes aufwuchs, drehte seine Lebensgefährtin Agnès Varda mit "Jacquot de Nantes" (1991) einen bewegenden Essayfilm. Aus dem Arbeitermilieu stammend – der Vater führte eine kleine Autowerkstatt – begeisterte sich Demy schon früh fürs Kino. Anders als seine Kollegen von der Nouvelle Vague wie Godard, Truffaut oder Chabrol kam er aber nicht übers Schreiben über Film, sondern über die Praxis zum Filmemachen.

Als Assistent des Zeichentrickfilmers Paul Grimault und des Dokumentaristen Georges Rouquier sammelte er seine ersten Erfahrungen und drehte 1955 den kurzen Dokumentarfilm "Le sabotier du Val de Loire". Weitere Kurzfilme wie "Le bel indifferent" (1957) nach einem Einakter von Jean Cocteau, dessen "Orpheus"-Version "Parking" Demy 1985 verfilmte, oder "La mère et l´enfant" (1959) folgten, ehe er 1960 mit "Lola" seinen ersten langen Spielfilm drehte.

Es war die Zeit der Nouvelle Vague, die Zeit von "A bout de souffle" und "Les quatre cents coups", doch Demy ist nur am Rande dieser Bewegung zuzuordnen. Kein Bruch mit den Regeln strebte er an, schwärmte vielmehr für die vorangegangene Generation des französischen Kinos, für Renoir, Carné, Becker und Clouzot, aber auch für Vincente Minnelli und Max Ophüls. Letzterem hat Demy "Lola" gewidmet, der zuerst als Musical in Farbe geplant war, dann aber aus Kostengründen in Schwarzweiß und ohne Gesangsnummern realisiert wurde.

Speziell an Ophüls "Le plaisir" orientierte sich Demy bei seinem Debüt, in dem er um eine von Anouk Aimée gespielte Nachtclubsängerin einen Liebesreigen schilderte. Neun Jahre später drehte er mit "Model Shop - Das Fotomodel" (1969) eine in Los Angeles spielende Fortsetzung, in der vor dem Hintergrund der weltpolitischen Ereignisse wie Vietnam-Krieg und Jugendprotest die als Nacktmodell jobbende Lola versucht sich das Geld für eine Ticket nach Frankreich zu verdienen.

Den Traum vom französischen Musical in der Tradition eines Vincente Minnelli konnte sich Demy 1964 mit "Les parapluies de Cherbourg" verwirklichen. So alltäglich die Liebesgeschichte, die die Demy erzählt, und so realistisch der Hintergrund, zu dem auch der Algerienkrieg gehört, sind, so bewusst künstlich ist die Form. Jede Dialogzeile wird gesungen und die Bilder sind in Pastellfarben getaucht. Dieser Mix brachte dem hochartifiziellen Film den Vorwurf ein, Kitsch zu sein, doch unbestritten ist, dass Demy damit, unterstützt von seinem Komponisten Michel Legrand und dem Kameramann Jean Rabier seinen ganz eigenen Stil gefunden hat.

Mit "Les demoiselles de Rochefort" (1966) setzte er diese Richtung fort, schlug aber in der Schilderung einer sommerlichen französischen Hafenstadt, in der die Bewohner und Touristen nach der Liebe ihres Lebens suchen, heiterere Töne an. Während er Anfang der 70er Jahren mit den Märchenadaptionen "Peau d´âne - Eselshaut" (1970) und dem in Rothenburg ob der Tauber gedrehten "The Pied Piper – Der Rattenfänger von Hameln" (1971) noch bezaubern konnte, folgten mit der Komödie "L’Événément le plus important depuis l’homme a marché sur la lune – Die Umstandshose" (1973) und der Adaption des zur Zeit der Französischen Revolution spielenden Comics "Lady Oscar" (1978) zwei Misserfolge.

1982 gelang ihm dann aber mit "Une chambre en ville" noch ein letztes unverwechselbares und meisterhaftes Werk. Formal kehrte er mit durchwegs gesungenen Dialogen und der Mischung von Künstlichkeit und Realismus zu "Les parapluies de Cherbourg" zurück, vom Schauplatz her in die Region seiner Kindheit: Vor dem Hintergrund eines Werftarbeiterstreiks 1955 in Nantes erzählt Demy von einer tragisch endenden Liebe zwischen einem Metallarbeiter und einer Tochter aus großbürgerlichem Hause.

50 Filme wollte Demy drehen, die alle untereinander verbunden sein sollten, nur 13 sind es schließlich geworden bis zu seinem Tod am 27. Oktober 1990, darunter sind aber einige einzigartige und unverwechselbare Werke der Filmgeschichte.