Malerei mit Kalkül

Die Kunst der 1960/70er Jahre ist durch radikale Traditionsbrüche und die Neubestimmung von Gestaltungsweisen und künstlerischen Medien geprägt. Das Aufkommen medienbasierter Kunst, sowie die Verknüpfung von Kunsttheorie und künstlerischer Praxis führten auch zu neuen Formen der Malerei. Dem weitgehenden Verzicht auf figurative oder gestisch-abstrakte Darstellungsformen entsprachen formal konzentrierte und kalkulierte Werkstrukturen, die von einem erweiterten und reflexiven Selbstverständnis der Malerei gekennzeichnet waren. Die Befreiung der Malerei von figurativer und erzählerischer Darstellung sowie von expressiver Handschrift oder surrealer Magie war ab den 1950er-Jahren mit einem Reflexionsprozess über das Medium Malerei verbunden. Das Motiv der Farbe, ihr Verhältnis zum Bildträger und zur Wahrnehmung traten in den Vordergrund.

In Amerika prägte der einflussreiche Kunstkritiker Clement Greenberg bereits in den 1950er Jahren die Rezeption des abstrakten Expressionismus und der sogenannten Colorfield Malerei, indem er diese in seinen Texten und Pamphleten mit Theorie verknüpfte: Jenseits erzählerischer und illusionistischer Darstellungen sollte Malerei ihre grundlegenden materiellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zum Inhalt haben. Die Eigenschaften der Farbe, die Art des Farbauftrags sowie die Farb- und Bildwirkung auf die Betrachter_innen waren daher zentrale gestalterische Grundprinzipien. Dieses Ausloten der malerischen Grundlagen als Bildthema findet sich u.a. in den Werken von Josef Albers, Helen Frankenthaler, Morris Louis, Ellsworth Kelly, Ad Reinhardt, Jules Olitski. Sie experimentierten auf ganz unterschiedliche Weise mit dynamisch-diffusen Farbspuren, mit subtil nuancierten, in sich ruhenden Farbfeldern, mit scharf geometrisch geschnittenen Farbformen oder mit fließenden Malstrukturen, in denen die physikalischen Eigenschaften der Farben erkennbar werden.

Wesentliche Impulse bekam die Malerei von der Minimal Art und den konzeptuellen Kunstrichtungen der 1960er- und 1970er-Jahre. Deren nüchterne, von Rationalität und Kalkül getragenen Grundsätze zeigten sich in abstrakt-geometrischer Malerei, in formal reduzierten Kompositionen sowie in der Ablehnung illusionistischer Bildwirkung zugunsten objekthafter Werkerscheinung. Zugleich thematisierte diese Malerei auch ihr Verhältnis zum Raum und zur Wahrnehmung neu. Künstler_innen wie Alan Charlton, Frank Stella, Robert Mangold, Kenneth Noland, Joe Baer, Agnes Martin oder John Baldessari bezogen die Betrachter_innen in den Bildraum ein und lösten so die klassische Gegenüberstellung von Werk und Betrachter_in auf. Auch in den zeitgenössischen Bild- und Malereidiskursen in Österreich spiegeln sich die internationalen Entwicklungen und führen zu eigenständigen Beiträgen. Künstler_innen wie Richard Kriesche, Marc Adrian, Hermann Painitz, Jorrit Tornquist, Helga Philipp, Roland Goeschl, u.a. agierten klar jenseits der lokaltypischen Traditionen des Expressiven und Phantastisch-Surrealen.

In der osteuropäischen Kunst wurden im Zuge der poststalinistischen "Liberalisierung" ab den 1960er Jahren eine verstärkte Rezeption der konstruktivistischen Moderne sowie der Einfluss der Konzeptkunst sichtbar. Von den politischen Machthabern als Verflachung moderner Utopien oder als Handlangertum westlicher Abstraktion denunziert, diente die geometrische Abstraktion Künstler_innen wie Karel Malich, Zdenek Sykora, Roman Opalka, Julius Koller, Henryk Stazewsky, Constantin Flondor, Dora Maurer, u.a. als bewusste Abkehr von der Propagandakunst des Sozialistischen Realismus und als Verweis auf die aufklärerischen und demokratischen Potenziale der Moderne. Mit ihren werkanalytischen und wahrnehmungsbezogenen Ansätzen griffen die Maler_innen der Neoavantgarde Ideen der Moderne auf, aktualisierten sie in ihrem zeitgenössischen Umfeld und schufen damit die Grundlagen für die jüngeren Generationen medien- und theoriebewusster Künstler_innen.


Malerei mit Kalkül
Positionen der Neoavantgarde aus der mumok Sammlung
30. November 2018 bis 28. April 2019
Eröffnung: Do 29. November 18, 19 Uhr