Malerei für die Ewigkeit

Paestum mit seinen drei großen dorischen Tempeln ist durch die Stiche Piranesis und die eindrucksvolle Beschreibung Goethes in seiner Italienischen Reise (1787) schon früh berühmt geworden. Weniger bekannt ist, dass Paestum einen der größten Schätze antiker Freskomalerei bewahrt: In den 1960er Jahren wurden bei Ausgrabungen rund 200 reich bemalte Gräber aus der Zeit der Lukaner (4. Jhd. v. Chr.) entdeckt.

Im Bucerius Kunst Forum sind diese seltenen Beispiele antiker Grabkunst nun erstmals außerhalb Italiens zu sehen. Rund 45 der bemalten Grabplatten stellt das Museo Archeologico Nazionale di Paestum für die Ausstellung in Hamburg zur Verfügung, darunter sieben vollständige Gräber. Die tonnenschweren Einzelplatten werden in der Ausstellung zum ersten Mal seit ihrer Entdeckung wieder zu dreidimensionalen Gräbern zusammengesetzt, so dass die Darstellungen in ihrem ursprünglichen Zusammenhang betrachtet werden können. Der Besucher hat die einzigartige Möglichkeit, in die Gräber hineinzublicken und bekommt so ein Gefühl für deren Materialität und Dimension.

Zugleich entfaltet sich in den Grabszenen die Lebenswirklichkeit einer längst untergegangenen Kultur: Zu sehen sind Kampfszenen, Sport- und Wettkämpfe sowie Bestattungsriten des italischen Volkstammes der Lukaner, der um 400 v. Chr. in der ehemals griechischen Kolonie Paestum lebte. Durch die Präsentation der vollständigen Gräber lässt sich in der Ausstellung auch der Entstehungsprozess der Malereien nachvollziehen: Nach dem Tod des zu Bestattenden wurden die mit Kalkstuck versehenen Platten in die Erde versenkt und vom Künstler in der Grabhöhlung auf engstem Raum binnen weniger Stunden bemalt. Wohl noch am gleichen Tag fand die Beisetzung statt und die Gräber wurden verschlossen. Die Darstellungen in den Gräbern waren damit den Blicken der Lebenden entzogen und dazu bestimmt, den Toten ins Jenseits zu begleiten.

Die Eile, mit der die Grabkammern ausgemalt wurden, erklärt auch den raschen, aber sicheren Pinselstrich und die Skizzenhaftigkeit der Bilder, die zugleich durch ihre Lebendigkeit und erzählerische Vielfalt überraschen: Zu sehen sind heimkehrende Männer zu Pferde und Frauen, die sie mit einem Willkommenstrunk begrüßen, aber auch Aufbahrungen, die von Klagefrauen, Musikanten und Opferszenen umgeben sind. Bei den dargestellten Leichenspielen kann es unter den Augen von Schiedsrichtern heftig, ja sogar blutig zugehen: beim Lanzenstechen, beim Wagenrennen um eine Siegessäule oder beim Boxkampf, der von Flötenmusik begleitet wurde. Genrehafte Szenen sind ebenso vertreten wie die Jagd auf Hirsche und Panther. Neben Fabeltieren wie Sphinx und Greif gibt es auch mythische Wesen wie Nereiden, die auf Seepferden reiten – eine Anspielung auf die Inseln der Seligen. Der Hahn als Zeichen der Fruchtbarkeit und Granatäpfel als Symbole ewigen Lebens geben uns Aufschluss über die Vorstellungswelten der Lukaner.

Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten stellen die Grabfresken eine Rarität dar: Die griechischen Malereien des 4. Jahrhunderts v. Chr., die den Künstlern von Paestum als Vorbild dienten, sind heute verloren, so dass sich hier einer der seltenen Einblicke in die Entwicklung der Bildkunst jener Zeit ergibt. Paestum wird dabei nicht allein als Stätte berühmter griechischer Tempel begriffen, sondern auch als Ort der umfassendsten "Pinakothek" antiker Malerei.

Neben dem Bilderschmuck der Grabkammern wurden den Toten auch zahlreiche Grabbeigaben mit auf den Weg gegeben. Kostbare Vasen, Rüstungen und weitere Grabbeigaben, die in den jeweiligen Gräbern gefunden wurden, ergänzen daher die Präsentation und vervollständigen unser Bild von Gesellschaft, Leben und Tod einer längst vergangenen Epoche. Der Besucher betritt in der Ausstellung eine Nekropole, die eindrucksvoll belegt, wie die Lukaner ihre Toten ehrten.

Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich der Darstellung der antiken Tempel von Paestum in den bildenden Künsten von 1750 bis 1850. Eine konzentrierte Auswahl von etwa 55 Gemälden, Radierungen, Zeichnungen, Aquarellen und Architekturtraktaten stellt facettenreiche Ansichten des seit Mitte des 18. Jahrhunderts zum europäischen Bildungsgut avancierten Paestum vor Augen. Das Spektrum reicht von den klassischen Veduten eines Antonio Joli bis hin zu den faszinierenden Radierungen Giovanni Battista Piranesis, einschließlich seiner bedeutenden Vorzeichnungen, die in einer Auswahl erstmals in Deutschland gezeigt werden.

Es umfasst Impressionen, die der Deutsch-Römer Jakob Philipp Hackert, Goethes künstlerischer Mentor Christoph Heinrich Kniep oder der französische Romantiker Hubert Robert in ihren Gemälden verarbeiteten, gefolgt von den präzisen architektonischen Aufnahmen, die Friedrich von Gärtner und Leo von Klenze, Thomas Major und Saint-Non in ihren Reisejournalen, Stichpublikationen und Architekturtraktaten veröffentlichten.


Der Katalog zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag, München (ca. 216 Seiten mit 150 farbigen Abbildungen, ca. EUR 24,90).

Malerei für die Ewigkeit. Die Gräber von Paestum
13. Oktober 2007 bis 20. Januar 2008