Seit dem Beginn der Reformpolitik der Ära nach Mao 1979 hat sich in China innerhalb kurzer Zeit trotz der weiterhin schwierigen Bedingungen für die unabhängige Kunstproduktion eine äusserst vielfältige und dynamische Szene entwickelt, die in den letzten Jahren auch im Westen große Aufmerksamkeit gefunden hat.
ie chinesischen Künstlerinnen und Künstler haben dabei rasch Anschluss an die internationale Kunstszene gefunden und bedienen sich in virtuoser Weise der im Westen entwickelten Medien, Techniken und Ausdrucksmittel. Die spezifisch chinesischen Wurzeln – die vormoderne Tradition einerseits und der bis in die späten siebziger Jahre von der KP vorgeschriebene sozialistische Realismus andererseits – sind jedoch in vielen Arbeiten spürbar; so ist im Vergleich zur Westkunst etwa der hohe Stellenwert der figurativen Malerei charakteristisch.
Manche Künstler setzen sich bewusst mit ihrer nationalen Identität auseinander, indem sie Techniken und Formensprache der traditionellen chinesischen Kunst aufgreifen und in einen neuen Kontext stellen. Ein anderes wichtiges Thema ist die parodierende oder reflektierende Verarbeitung der westlichen Kunst und Kunstgeschichte aus chinesischer Perspektive. Vor allem aber ist die chinesische Avantgardekunst vor dem Hintergrund der enormen sozialen und ökonomischen Umwälzungen zu sehen, die das Land in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat; zahlreiche Werke reflektieren insbesondere die Spannung zwischen den offiziell nach wie vor gültigen sozialistischen Idealen und dem durch die kapitalistischen Reformen freigesetzten Konsumismus.
Der Schweizer Uli Sigg, Vizepräsident des Verwaltungsrates der Ringier-Gruppe, ist seit den späten siebziger Jahren mit China und seiner Kultur vertraut. Seit Mitte der neunziger Jahre sammelt er zusammen mit seiner Frau Rita ausschliesslich chinesische Kunst und ist damit einer der Pioniere auf diesem Gebiet. Nachdem er zunächst nur aktuelle Arbeiten erworben hatte, begann er seine Sammlertätigkeit bald auf die "historischen" Werke der Avantgarde aus den achtziger und frühen neunziger Jahren auszudehnen. Entstanden ist so eine Sammlung chinesischer Gegenwartskunst, die an Umfang und Niveau weltweit ihresgleichen sucht. Alle wichtigen Positionen sind mit zentralen Arbeiten dokumentiert; darunter befinden sich viele Werke, die in der chinesischen Kunstszene mittlerweile den Status von Ikonen besitzen.
Mit der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle wird die Sammlung Sigg in einem repräsentativen Querschnitt der Öffentlichkeit in Deutschland zugänglich gemacht. Das Publikum erhält damit einen Überblick über ein Vierteljahrhundert chinesischer Avantgarde (1979 bis 2005), der in dieser Dichte und Qualität alles bisher Gesehene übertrifft.
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog, der neben einem Interview mit dem Sammler, Essays der Kuratoren, Erklärungen und Einzelanalysen der Werke auch allgemeine Einführungen in die soziopolitische sowie die künstlerische Entwicklung Chinas in den letzten drei Jahrzehnten enthält. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern, wo sie von Bernhard Fibicher und Ai Weiei kuratiert wurde. Kurator der Ausstellung in Hamburg: Dr. Christoph Heinrich
Mahjong - Chinesische Gegenwartskunst aus der Sammlung Sigg
14. September 2006 bis 18. Februar 2007