Märchenhaft realistisch: Die Filme von Silvio Soldini

Mit "Pane e tulipani – Brot und Tulpen" landete Silvio Soldini vor 13 Jahren seinen bislang größten Erfolg. Genau ist der Blick des Italo-Schweizers auf den Alltag von Durchschnittsbürgern, einfühlsam und mitfühlend zeigt er ihre Nöte und Sorgen, lockert den Realismus aber auch immer wieder durch märchenhafte Elemente auf. Das Filmpodium Zürich widmet Soldini derzeit eine Retrospektive.

Geboren wurde Silvio Soldini 1958 in Mailand, da seine Familie väterlicherseits aber aus dem Tessin stammt, besitzt er auch die schweizer Staatsbürgerschaft. Als italienisch-schweizer Koproduktionen entstanden so die meisten seiner Filme, spielen aber zumeist in Italien.

Film studierte Soldini an der New York University, drehte dort auch 1982 mit "Drimage" seinen ersten Kurzfilm. 1984 gründete er mit einigen Mitarbeitern eine eigene Produktionsgesellschaft, 1989 drehte er mit "L´aria serena dell´ovest" seinen ersten langen Spielfilm, seinen größten Erfolg landete er elf Jahre und zwei Spielfilme später mit "Pane e tulipani – Brot und Tulpen" (2000).

Wie der Italo-Schweizer eingebettet in das Ambiente von Venedig und unterstützt vom wunderbaren Spiel von Licia Maglietta und Bruno Ganz von der Emanzipation und Selbstfindung einer italienischen Hausfrau erzählt, ist einerseits nah am Alltag, andererseits auch märchenhaft und entwickelt gerade durch diesen Mix seinen Zauber.

Wie sich die Protagonistin Rosalba lange zwischen der Sehnsucht nach persönlichem Glück und dem Verantwortungsgefühl für die Familie nicht entscheiden kann, so wird auch zehn Jahre später in "Cosa voglio di piú – Was will ich mehr" (2010) Alba Rohrwacher als dreißigjährige Anna förmlich zerrissen durch eine leidenschaftliche Affäre: Soll sie für dieses intensive, aber vielleicht nur kurzfristige Glück ihren langweiligen, aber liebenswerten Partner und ihren Lebensentwurf aufgeben? Und auch ihr verheirateter Liebhaber ist hin und her gerissen zwischen Anna und seiner eigenen Familie, will nichts von beidem aufgeben.

Keine Schwarzweißmalerei gibt es bei Soldini, sondern differenziert und ohne zu verurteilen lotet er voll Mitgefühl für seine Protagonisten die Problemfelder aus. Seine Filme leben von sorgfältig aufgebauten Drehbüchern, denen sich der Regisseur meist unterordnet. Er setzt nicht auf effektvolle Inszenierung, sondern lässt den Schauspielern viel Raum um den Figuren Profil zu verleihen.

Auch in "Giorni e nuvole - Tage und Wolken" (2007) wird das Leben der Protagonisten durch ein plötzliches und unerwartetes Ereignis erschüttert und in völlig neue Bahnen gelenkt. Präzise und bewegend zeichnet Soldini in diesem Drama nicht nur den sukzessiven sozialen Abstieg eines Ehepaars aus der Mittelschicht nach, der durch Arbeitslosigkeit ausgelöst wird, sondern auch die zunehmenden psychischen Belastungen, die daraus resultieren. Dass "Giorni e nuvole" trotz des Ernstes des Themas nicht niederschmetternd wirkt, sondern sich bis zum offenen, weder alle Türen zuschlagenden noch mit billigen Lösungen Glück versprechenden Ende eine gewisse Leichtigkeit bewahrt, gehört zu den Wundern dieses Films.

Während Soldini in "Pane e tulipani", "Giorni e nuvole", "Cosa voglio di piú", aber auch in "Brucio nel vento - Brennen im Wind" (2001), einer prätentiösen und den Schwermut zelebrierenden Verfilmung von Agata Kristofs Roman "Gestern", geradlinig erzählt und auf wenigen Protagonisten fokussiert, ohne auf differenzierte Schilderung der Auswirkungen auf das familiäre Umfeld zu verzichten, fällt bei den stärker mit märchenhaften Momenten arbeitenden Komödien "Agata e la tempesta" (2004) und "Il comandante e la cicogna" (2012) ein fast schon an Robert Altman erinnerndes kaleidoskopartiges Erzählen in die Breite auf.

So wird in "Agata e la tempesta" um die Titelfigur herum, die allein durch ihre innere Unruhe Toaster, Föhn und Glühlampen zum Druchbrennen und Computer zum Abstürzen bringt, die Geschichte mehrerer Figuren erzählt. Wie hier klären sich auch in "Il comandante e la cicogna" erst langsam die Beziehungen zwischen den Figuren und erst sukzessive laufen die einzelnen Erzählstränge zusammen oder kreuzen sich zumindest.

Mehr von den hinreißend gezeichneten und gespielten, teilweise sehr schrulligen Charakteren als von der Handlung leben diese Komödien dann auch und stärker präsent ist hier auch ein märchenhaft-surreales Moment. Das reicht von Agatas übersinnlichen Fähigkeiten bis zum Erscheinen eines Geistes in "Il comandante".

Den Bezug zur Realität verliert Soldini dabei dennoch nicht, denn genau gezeichnet ist der Alltag und dezidiert dürfen in "Il comandante" sogar Statuen von Garibaldi, Verdi und da Vinci Kritik am moralisch-politischen Zustand Italiens äußern und ein Storch fungiert als Symbol für die Möglichkeit des Ausbruchs aus diesem Chaos und eines Neustarts. - Und sei es, dass man dafür sogar in die Schweiz reisen muss, in ein Bergdorf mit einem unaussprechlichen Namen.

Dokumentation über Silvio Soldini