Locarno startete mit Scarlett Johannson als "Lucy"

Um die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns geht es zwar in Luc Bessons "Lucy", doch allzu viel denken sollte man bei diesem Actionkracher nicht. Lässt man sich aber einfach auf die Aktionen von Scarlett Johanssons Protagonistin ein, die durch eine neue Droge zur übermenschlichen Kampfmaschine wird, kann man sich immerhin für 90 Minuten amüsieren.

Den auch im Internet viel diskutierten Mythos, dass der Mensch nur 10% seines Gehirns nutze, nimmt Luc Besson als Ausgangsposition und fantasiert darüber, was passieren würde, wenn man auf 100% Zugriff hätte. Der Name der Protagonistin ist deshalb auch nicht zufällig gewählt, sondern wird in Bezug gesetzt zum ebenfalls "Lucy" genannten ältesten menschlichen Skelett.

Die Lucy des Films wird in Taipeh mit vier weiteren Männern gezwungen als Drogenkurierin zu fungieren. Kurzerhand wird ihr ein Paket mit der neuen Droge in den Körper operiert. Als dieses aufplatzt und die Droge frei wird, hat Lucy Zugriff auf immer mehr Prozent ihres Gehirns, verfügt über sensationelle Sinnesorgane, erinnert sich detailgenau an frühkindliche Erlebnisse, beherrscht problemlos Sprachen, besitzt telepathische Fähigkeiten und entwaffnet Gegner allein durch ihre Willenskraft. Ein leichtes ist es ihr so, die anderen drei Drogenkuriere aufzuspüren, die Polizei auf diese anzusetzen und auch den Gangsterboss und seine Bande auszuschalten.

Ist diese Actionhandlung schon völlig überdreht, so ergänzt sie Besson durch Parallelmontage mit dem Vortrag eines Gehirnspezialisten (Morgan Freeman) und Vergleichen mit der Tierwelt sowie Rückblicken in die Evolutionsgeschichte auch noch mit einem pseudophilosophischen Unterbau, über den man nur lachen kann, wenn man sich nicht darüber ärgern will.

So ist es am besten bei diesem Popcorn-Kino reinsten Wassers, mit dem Besson hinsichtlich der Protagonistin an seine starken Frauenfiguren in Nikita" und "Angel A", aber auch in "Johanna von Orleans" und "Die Lady" anknüpft, nicht allzu viel zu denken, sich auf Action, visuelle Einfälle und die physisch sehr präsente Scarlett Johansson einzulassen.

Wie sich die 30-jährige von den zarten Rollen in "Lost in Translation" oder "Das Mädchen mit dem Perlohrring" in den letzten Jahren mit "Iron Man 2" und "Marvel´s The Avengers" zur Actionheldin gewandelt hat, ist schon beeindruckend. Ganz auf sie zugeschnitten hat folglich Besson auch diesen Film. Nur Staffage bleiben neben ihr Gangsterbande und Polizei. Zu verfolgen, wie sie sich aus dem Gefängnis rausschlägt und –schießt, sich den Rest des geplatzten Drogenpakets aus dem Bauch operieren lässt und daneben mit ihrer Mutter telefoniert, ohne jegliche Fahrkenntnisse in rasender Fahrt einen Wagen durch die überfüllten Straßen von Paris lenkt, oder Handyverbindungen sehen und die für sie wichtige herausfiltern kann, kann durchaus Vergnügen bereiten.

In der völligen Überzogenheit bleibt freilich nichts mehr von dem, was an dem Stoff wirklich interessant sein könnte. Denn im Kern geht es in "Lucy" doch darum, was den Menschen eigentlich ausmacht. Nicht nur Wissen ist das letztlich, sondern auch Emotionen, die freilich Lucy mit zunehmender Nutzung des Gehirns verliert, bis sie praktisch zur Maschine wird.

Programmatisch ist diese knallige Eröffnung für die heurige Ausgabe des Filmfestivals von Locarno sicher nicht. Sowohl auf der Piazza Grande und sowieso im Wettbewerb werden in den nächsten Tagen andere Töne angeschlagen werden.

Trailer zu "Lucy"