Locarno eröffnet mit technologiekritischer Dystopie

2. August 2007
Bildteil

Zum 60. Geburtstag erhielt das Filmfestival von Locarno eine neue, auch digital ausgestattete Vorführkabine für die Piazza Grande. Eingeweiht wurde diese Anlage schon am Abend vor der Eröffnung mit Wim Wenders´ "Der Himmel über Berlin". Kontrastprogramm zu diesem hochpoetischen Filmmärchen bot der japanische Animé "Vexville", mit dem das Festival gestern abend dann offiziell eröffnet wurde.

Es ist seit einigen Jahren eine Eigenheit des Tessiner Filmfestivals, dass schon am Abend vor der Eröffnung sozusagen als Generalprobe bei freiem Eintritt auf der Piazza ein Film gezeigt wird. Heuer wurde diese Vorführung zur Einweihung der neuen, auch digital ausgestatteten Vorführkabine genutzt. Verspielt von Musik- und Clowneinlagen unterbrochen präsentierte Festivaldirektor Frédéric Maire die neue Anlage. Stilvoll ließ man eine Sektflasche am schwarzen Gehäuse zerschellen und einen Regen von Papierschlangen über der Piazza niedergehen – übersah allerdings, dass diese sich in den Leitungen verfangen konnten und somit bei der folgenden Vorführung teilweise ins Bild hingen.

Die kleine Panne wird leicht zu beheben sein. Passte die Bildqualität bei Wim Wenders" hochpoetischem "Der Himmel über Berlin", so scheint es bei der der akustischen Abstimmung - oder lags etwa am Film? - noch Probleme zu geben, denn das elaborierte Gemisch aus inneren Monologen, Engelsstimmen und Musik war teils nur schwer verständlich. Dennoch stimmte dieser Streifzug von zwei Engeln durch die Geschichte und die Topographie Berlins, die sich zu einer Hymne auf das Leben und das Menschsein, auf die Sinneswahrnehmungen und die Vergänglichkeit weitet, bestens auf das Festival ein, auch wenn die abgehobene Sprache der Texte von Peter Handke und Wenders" mäandernde Erzählweise nicht jedermanns Sache sein mag.

Und auch andere Neuerungen erfreuten zumindest die Journalisten. Nicht nur, dass man bei den Pressevorführungen nach den unangenehmen Umstellungen im vergangenen Jahr zu den alten Terminen zurückkehrte, auch jeweils ein Q & A im Anschluss an die Pressevorführungen der Wettbewerbsfilme der Reihe der Cinéastes du présent und die Einrichtung einer Presselounge sind begrüßenswerte Nova.

Auf ganz andere Weise ums Menschsein als in "Der Himmel über Berlin" gehts im japanischen Animationsfilm "Vexille": Im Jahr 2077 hat sich Japan komplett von der Welt isoliert, da es hemmungslos auf technologische Entwicklung setzt und auch Menschen zunehmend durch Computer ersetzt. In geheimer Mission dringt eine amerikanische Spezialeinheit unter der Führung der jungen Vexille in den Inselstaat ein und erhält dort im Kampf gegen einen menschenverachtenden Konzern Unterstützung von einer Untergrundbewegung.

Der technisch perfekt vollständig am Computer animierte Film evoziert beeindruckend eine in nicht allzu weiter Zukunft liegende Welt. Technisierung der Haushalte, Stadtautobahnen und Metropolen sind nur eine Weiterentwicklung der Gegenwart. Von dieser Basis ausgehend entwickelt Fumihiko Sori eine fortschrittskritische Dystopie, warnt vor den Gefahren der Gen- und Biotechnologie und der Verdrängung des Menschen durch künstlich erzeugte Androiden. Bezeichnend für die heutige Zeit ist dabei, dass die Gefahr nicht mehr von der Politik, sondern von einem allmächtigen Konzern ausgeht.

Deutlich inspiriert von den Robotern und Kampfszenarien in "Star Wars" sowie den Sandwürmern in David Lynchs "Der Wüstenplanet" schafft Sori eine eindrucksvolle Bildwelt. Die Kälte, die dabei evoziert wird, mag zu der Kälte der in "Vexille" beschriebenen Welt passen, doch lässt die kalte technische Gestaltung auch nie echte Bindung an die Figuren aufkommen.

Mit rasanten, mit aufpeitschender Technomusik unterlegten Verfolgungsjagden wird zwar ein Gefühl von hohem Erzähltempo erzeugt, doch wirklich mitzureissen vermag dieser bildmächtige, wohl vor allem für Fans von Computerspiele konzipierte Film nicht und wird auch kaum den Aufstieg unter die Klassiker der japanischen Animé schaffen.