Locarno 2012: Harter und zarter Auftakt

Mit einem Kontrastprogramm begann das 65. Filmfestival von Locarno (1. – 11.8. 2012). Während auf der Piazza Grande zum offiziellen Auftakt der harte britische Polizistenthriller "The Sweeney" gemacht gezeigt wurde, startete der Wettbewerb um den Goldenen Leoparden mit dem zarten amerikanischen Liebesfilm "Jack and Diane".

Nick Love hat sich von einer gleichnamigen britischen TV-Serie der 1970er Jahre zu seinem Polizistenthriller "The Sweeney" inspirieren lassen. Im Mittelpunkt steht die titelgebende Spezialeinheit der britischen Polizei und ihr Boss Jack Regan (Ray Winstone). Bei der Verbrechensbekämpfung setzen sie durchaus auch drastische Mittel wie Baseballschläger ein oder liefern sich mit Gangstern um den belebten Trafalgar Square eine bleihaltige Schlacht. Aber auch gegenüber seinem Chef kennt Regan keine Rücksicht und dreht ihm auch mal die Luft ab, als dieser beginnt die Einheit auf Korruption zu untersuchen. Nebenbei hat Regan auch noch ein Verhältnis mit der Frau seines Chefs und kommt da auch durchaus mal auf der Toilette zur Sache.

So grobschlächtig dieser Regan ist, so plump ist auch die Inszenierung von Nick Love. Nächtliche Flugaufnahmen von London wecken am Beginn noch Erinnerungen an Michael Manns "Collateral", doch mit den Werken des großen Stilisten des US-Kinos ist "The Sweeney" nur inhaltlich verwandt. Keine Szene wird hier aufgebaut und entwickelt, keine Figur wird plastischer gezeichnet. Love beschränkt sich darauf Actionszenen und Verfolgungsjagden aneinanderzureihen, lässt dazwischen mal die Spezialeinheit rüde Dialoge führen oder einen Gangster hart verhören.

Die Handlung ist völlig beliebig, nur ein Vorwand für Haudrauf-Action, die den Film am Laufen halten und die innere Leere verdecken soll. Immerhin geht es dabei so rund, dass er die beginnenden Feuerwerke zum 1. August locker übertönte. – Eine gelungene Eröffnung eines Filmfestivals sieht allerdings anders aus.

Kontrastprogramm zu diesem Polizistenthriller, der alle Zwischentöne und jedes Understatement vermissen ließ, bot am ersten vollen Festivaltag im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden der Amerikaner Bradley Rust Gray mit seinem zarten Liebesfilm "Jack and Diane".

Auf der Suche nach einer Möglichkeit ihre Schwester anzurufen, stolpert Diane in New York in ein Kleidergeschäft, wo sie die knabenhafte Jack kennenlernt. Jack ist sofort fasziniert von der schüchtern-unschuldigen jungen Frau und es entwickelt sich eine labile Liebesbeziehung, geprägt von Unsicherheit, Anziehung und Zurückweisung, über der zudem durch Dianes baldige Abreise nach Paris das Schicksal des nahen Endes hängt.

Fokussiert ganz auf die beiden großartigen Hauptdarstellerinnen Juno Temple (Diane) und Riley Keough (Jack) zeichnet Gray stimmungsvoll, auch dank der Kostüme und lebensechten Kulissen, und sehr einfühlsam mit großer Gefühlsechtheit das Bild einer ersten Liebe, der Sehnsüchte, Unsicherheiten und Ängste.

Originellen, aber nicht unbedingt überzeugenden Gegenpol zu dieser Zartheit bringen Animationsszenen von den Quai-Brothers und Dianes Alpträume eines Monsters, die auf das Aufbrechen ihrer schlummernden Sexualität hinweisen. Und auch eine Straffung hätte dem mit 106 Minuten doch recht langen Film wohl nicht geschadet, ein sympathischer Auftakt zum Wettbewerb ist damit aber auf jeden Fall gemacht.