Locarno 2010: Von Vätern und Töchtern

Vater-Tochter Beziehungen sowie die schwierige Zeit des Erwachsenwerdens auf der einen Seite und die Sehnsucht nach einem besseren Leben auf der anderen stehen im Mittelpunkt von zwei Wettbewerbsbeiträgen beim Filmfestival von Locarno. Während Oleg Novkovic in "Beli beli svet – White White World" ein tristes Bild vom heutigen Serbien zeichnet, erzählt die in Zürich geborene Katalin Gödrös in "Songs of Love and Hate" leise und unspektakulär von einer Adoleszenz, die das Gefüge einer Tessiner Weinbauernfamilie schwer belastet.

Spätestens als Vater Rico seine Tochter Lilli nackt im Bad sieht, wird ihm bewusst, dass sie kein Mädchen mehr ist, sondern an der Schwelle zur jungen Frau steht. Schwer tut er sich damit umzugehen, wagt sie nicht mehr so unbefangen zu berühren wie bisher, während er mit der etwas jüngeren burschikosen zweiten Tochter Robi herumtollt.

Während Lilli einen Freund hat, ist Robi eher eine Außenseiterin, dennoch zeigt letztere ungleich mehr Mitgefühl, während Lilli gedanken- und verantwortungslos oder auch gezielt mit anderen spielt, vielleicht nur Grenzen austesten will, damit aber eine destruktive Energie entwickelt.

Das beginnt bei einer Nacktschnecke, über die sie Salz streut, setzt sich fort beim Hund, den sie in einen reißenden Fluss hetzt und endet im gefährlichen Spiel mit ihrem Freund. – Und immer gibt es auch den Blick auf den Vater, die Prüfung, ob und wie weit er sich hinter sie stellt, er sie deckt.

Die Stärke, aber auch die Schwäche von Katalin Gödrös Film "Songs of Love and Hate" liegt darin, dass vieles offen gelassen und kaum Erklärungen geboten werden. Statt auf Worte vertraut Gödrös mehr auf die genaue Beobachtung von Szenen, auf Blicke und Gesten. Mühe kann man angesichts dieser Offenheit schon haben dem Verhalten Lillis zu folgen, kann es für schwer nachvollziehbar halten.

Stark ist der Film aber in der Konzentration auf die innerfamiliären Beziehungen, auf die schleichend zunehmenden Spannungen. Gany unspektakulär und undramatisch mit kleinen alltäglichen Momenten wird dasgeschildert. Da stehen zwar Lilli und der Vater im Mittelpunkt, aber auch die Rolle der Mutter und der zweiten Schwester wird nicht vernachlässigt. Von Drama kann man dabei kaum sprechen, so leise und ruhig kommt der abgesehen von Jeroen Willems Vater, der doch zu oft und zu offen einen gequälten und überforderten Gesichtsausdruck an den Tag legt, glänzend gespielte Film daher.

Ungleich aufdonnernder, Schwermut und Tristesse in jedem Bild nach außen kehrend ist dagegen Oleg Novkovics "Beli beli svet – White White World". So desolat die Häuser, so dunkel die Bars in der serbischen Minenstadt Bor sind, so verzweifelt sind die Menschen, die dennoch immer noch von einem besseren Leben und von Glück träumen. So wirft sich auch der Teenager Rosa dem Barbetreiber King an den Hals, der in dieser Ödipus-Geschichte erst spät erfahren wird, dass er sich hier mit seiner Tochter eingelassen hat. Wie er auf der einen Seite zunehmend physisch erblindet, wird er so wie der antike Ödipus gegen Ende auf der anderen Seite zum Wissenden.

Atmosphärisch dicht ist das, kraftvoll gespielt und inszeniert und wird vor allem durch schwermütige Lieder, mit denen jeder der Protagonisten direkt in die Kamera seine Situation beschreibt, hochmelodramatisch, geht aber letztlich auch nicht über die Beschreibung einer tristen Situation, in der alle Figuren gefangen bleiben und aus der es nur im Tod ein Entkommen zu geben scheint, hinaus.