Locarno 2009: Schwenks über Lissabon, Stillstand im Iran

Der Franzose Eugène Green und der Iraner Babak Jalali präsentieren im Wettbewerb des 62. Filmfestivals von Locarno mit "A religiosa portuguesa" beziehungsweise "Frontier Blues" Filme, die durch ihre formale und inhaltliche Konsequenz überzeugen, vom Zuschauer aber auch die Bereitschaft sich darauf einzulassen verlangen.

In Eugène Greens "A religiosa portuguesa" kommt eine junge französische Schauspielerin, die noch unter dem Scheitern einer Beziehung leidet, nach Lissabon, um die letzten Szenen für einen Film zu drehen. Bei ihren Streifzügen durch die Stadt begegnet sie verschiedenen Männern, aber immer wieder auch einem kleinen Jungen und ist vor allem von einer Nonne fasziniert, die sie beim nächtlichen Gebet in einer Kapelle entdeckt.

Während die Inhaltsangabe den Eindruck von Bewegung und Emotionalität weckt, setzt Green genau auf das Gegenteil und beschreibt ironisch auch schon seinen Film, wenn er einzelne Figuren den Film-im-Film als "französisch intellektuell" und "unkonventionell" bezeichnen lässt.

Emotionslos lässt Green die Schauspieler – es gibt hier fast immer nur Zweiersituationen – bewusst künstlich gehaltene Dialoge mehr rezitieren als spielen und nimmt mit langen statischen Einstellungen oder strenger Schuss-Gegenschuss-Strategie auch jede äussere Bewegung aus dem Film heraus. Das verleiht "A religosa portuguesa" einen sehr literarischen Charakter, der andererseits wieder aufgebrochen wird durch durch sehr langsame, lange Schwenks über Lissabon und hochemotionale melancholische Fados, die von Musikgruppen in Bars, an denen die Schauspielerin vorbeikommt, vorgetragen werden.

In der Konsequenz, mit der Green diesen Stil durchzieht, kann "A religiosa portuguesa" dabei zweifellos eine Sogwirkung entwickeln, die den geduldigen Zuschauer in den Film hineinzieht, sodass er dann gespannt der zentralen Diskussion zwischen Nonne und Schauspielerin folgt. Wie im Film-im-Film, der im 17. Jahrhundert spielt und in dem es um eine Nonne geht, die sich in einen französischen Offizier verliebt, ist auch in diesem Gespräch die Liebe zentrales Thema. Prägnant wird dabei über leidenschaftliche körperliche Liebe, Gottesliebe und Nächstenliebe diskutiert, und gerade von der Nonne vermeintliche Gegensätze aufgehoben und der Schauspielerin ein neuer Weg ins Leben gewiesen.

Formal und inhaltlich nicht minder konsequent ist "Frontier Blues", in dem der Iraner Babak Jalali von mehreren Menschen – im speziellen Männern – in einem Kaff an der iranisch-turkmenischen Grenze erzählt. Der geistig etwas zurückgebliebene Hassan, der stets einen Esel bei sich hat und alte Autonummern sammelt, und sein Onkel, der ein Bekleidungsgeschäft betreibt, dem die Kunden fehlen, sind ebenso unzufrieden mit der Situation wie ein junger Mann, der auf der Hühnerfarm seines Vaters arbeitet, von Heirat träumt und Englisch lernt um dann nach Baku auszuwandern. Glück kennt auch der Dorfmusiker nicht, der mit vier Kindern mit einem Fotographen aus Teheran durch die Gegend fährt, um Fotos vom vermeintlichen Leben und Bräuchen der Turkmenen für einen Fotoband aufzunehmen. Produziert und rekonstruiert wird dabei aber nur Kitsch, der mit der tristen Realität nichts zu tun hat.

In langen statischen und distanzierten Einstellungen vermittelt Jalali überzeugend den Stillstand des Lebens in dieser Region und dieser Männer sowie die Hoffnungslosigkeit ihrer Ausbruchssehnsüchte. Spröde ist das und von einer rauen Poesie, die sich auch aus der kargen steppenhaften Landschaft entwickelt, und doch fehlt diesem trocken inszenierten und auch im ebenso reduzierten wie präzisen Musikeinsatz überzeugenden Film, der teilweise an Hiner Saleems "Wodka Lemon" erinnert, nicht ein Moment des ganz leisen, wenn auch verzweifelten und bitteren Humors.