Locarno 2009: Reden wir übers Alter – Schweizer Spielfilme

Beim 62. Filmfestival von Locarno ließ Christoph Schaub nach einem Drehbuch von Martin Suter in "Giulias Verschwinden" ein lustvoll aufspielendes Schauspielerensemble über das Alter jammern, während Frédéric Mermoud in "Complices", in einen soliden Krimi verpackt, zwei Generationen einander gegenüberstellt. – Peinlich schließlich Mihály Györiks im Tessin gedrehter "La valle delle ombre", der Grusel der ganz anderen Art verbreitete.

Während sich an unterschiedlichen Orten Menschen auf eine Abendveranstaltung vorbereiten, sitzt Giulia (Corinna Harfouch) im Bus, schaut zwei Teenagern zu und wird von ihrer Sitznachbarin, die gut fünfzehn Jahre älter als sie selbst sein dürfte, darauf aufmerksam gemacht, dass man Menschen in ihrem Alter gar nicht mehr wahrnimmt, sie für die Umwelt richtiggehend unsichtbar werden – und schon sieht Giulia ihr Spiegelbild im Busfenster verschwimmen und sich auflösen.

Der Einstieg in Christoph Schaubs "Giulias Vertrauen" ist unvermittelt und direkt. Sehr lange ist dann freilich die Exposition, bis die diversen Festgäste, deren einziges Gesprächsthema schon zuhause das Alter ist, zusammengeführt sind, sich andererseits die Wege von Giulia, der älteren Frau und den Teenagern trennen und mit einer Geburtstagsparty in einem Altersheim, einer Diebestour durch die Kaufhäuser, einem Festessen im Restaurant, zu dem der Festgast nicht erscheint, und einem Barbesuch von Giulia mit einer Zufallsbekanntschaft vier Schauplätze und Episoden eingerichtet sind, zwischen denen der Film hin und her pendelt.

Ab jetzt – und das heißt immerhin noch rund eine Stunde – wird nur noch geredet, und zwar ausschließlich über die Nöte und Sorgen des Alters. Die Dialoge von Martin Suter sind zweifellos brillant und voller Ironie, Bonmots finden sich zur Genüge und die Schauspieler von Bruno Ganz bis Sunnyi Melles agieren mit sichtlichem Vergnügen. Zu kurz kommt dabei freilich das filmische Element, Grossaufnahme folgt auf Grossaufnahme und abgesehen von einem Spiel mit Spiegeln fällt Schaub auf der visuellen Ebene nicht allzu viel ein. Und auf die Dauer ist auch die Substanzlosigkeit nicht zu übersehen. So viele Aspekte des Alterns oder Klischees darüber auch angesprochen werden mögen - letztlich dreht man sich dann halt doch im Kreis und wenig bleibt von den durchaus amüsanten 90 Minuten haften.

Mit dem Ende – oder vielmehr schon drei Minuten vor dem Ende – verpufft auch schon der erste Spielfilm von Frédéric Mermoud, der im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden läuft. Wie der Westschweizer in "Complices" einem Polizistenduo mittleren Alters ein jugendliches Liebespaar gegenüberstellt und ausgelöst durch den Tod des Teenagers parallel die Ermittlungen und die Entwicklung der Beziehung der Jugendlichen erzählt, ist nicht nur vom Drehbuch her, sondern auch formal durchdacht gemacht. Mit Grautönen und distanzierten Einstellungen wird da einerseits die Resignation der 45 bis 50jährigen Ermittler, mit kräftigen Farben, bewegter und naher Kamera dagegen die Lebensfreude der Jugendlichen vermittelt. So kann man auch hier über Alter und Jugend reflektieren, doch über einen soliden Krimi mit einem leider völlig überflüssigen katastrophalen Ende kommt "Complices" dennoch nicht hinaus.

Großartig sind diese beiden Filme freilich immer noch im Vergleich mit "La valle delle ombre", dem nur dem Umstand, dass er in Tessiner Tälern gedrehte wurde, den Weg ins Piazzaprogramm geöffnet haben dürfte. So grobschlächtig wie der in Basel geborene und in Tessin lebende Mihály Györik in diesem Gruselfilm zahlreiche Motive aus Klassikern des Genres zu einer bestenfalls notdürftig zusammengeschusterten Geschichte verquirlt, jagt einem einen Schrecken ganz anderer Art – nur nicht den gewollten – ein. Story gibt es im Grunde kaum eine, vielmehr lässt Györik drei Kinder sich gegenseitig Gruselgeschichten aus vergangenen Zeiten erzählen, in denen es um einen Fluch, einen Geist und verschwundene Kinder geht.

Selbst wenn man die platte Verwendung von altbekannten Genremotiven vom Wald mit knorrigen Bäumen über einen See bis zu Nebelstimmungen, mysteriösen Mordfällen und einem recherchierenden Priester und die holprige Erzählweise damit erklären möchte, dass hier Kinder Gruselgeschichten erzählen und den Regisseur damit teilweise von seiner Verantwortung eine Geschichte plausibel und schön ausformuliert erzählen zu müssen freispricht, könnte das den Film nicht retten. – Technisch und handwerklich solid gemacht, kann es einem angesichts der katastrophalen erzählerischen Qualität nur gruseln – oder man entscheidet sich dafür befreit aufzulachen.