Locarno 2008: Packende "Nordwand" auf der Piazza Grande

12. August 2008
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So verschieden die amerikanische Komödie "Chaos Theory", das packende Bergdrama "Nordwand" und Hannes Stöhrs "Berlin Calling", die beim 61. Filmfestival von Locarno auf der Piazza Grande gezeigt wurden, auch sein mögen, im weitesten Sinne geht es doch immer auch darum, dass man das Leben nicht steuern kann, dass Zufall, Wetterumschwünge oder eine falsche Tablette einen mehr als nur aus der Bahn werfen können.

Nichts ist fix, nicht nur im Leben, sondern auch beim Filmfestival von Locarno. Da kann die Eröffnung auf der Piazza Grande um 21 Uhr aufgrund Regens noch gefährdet sein, 30 Minuten später zu Filmbeginn kann es schon wieder anders ausschauen. Weit schwerwiegender können Wetterumschwünge für Bergsteiger - mögen sie auch zu den besten ihrer Zunft gehören, nicht nur in der Eiger Nordwand sein.

1936 erklärte das Deutsche Reich die Erstbesteigung der Eiger Nordwand zur nationalen Angelegenheit, propagierte sie medial und versprach als Belohnung eine Olympische Goldmedaille. Den politischen Hintergrund streift Philipp Stölzl in seinem Bergdrama "Nordwand" nur kurz, erteilt nebenbei auch plakativ und oberflächlich den sensationsgierigen Medien, die nur an Triumph oder Tragödie interessiert sind, eine Absage und liefert mit einer Fahrt mit der Jungfraubahn dem Berner Oberland eine geradezu unbezahlbare Tourismuswerbung.

Verzichten könnte man auf die Szenen in der Berliner Redaktion und die Vorstellung der Bergsteiger Andi Hinterstoisser und Thomas Kurz in Berchtesgaden ebenso wie auf die Szenen im Hotel an der Kleinen Scheidegg, von der die Touristen die Kletterer in der Wand per Fernrohr verfolgen. - Der Beginn zieht sich angesichts der hausbackenen Inszenierung, sobald allerdings das politisch uninteressierte Duo und hinter ihnen eine nationalsozialistisch gesinnte österreichische Seilschaft in die Wand einsteigt, geht in "Nordwand" die Post ab. Technisch perfekt gefilmt (Kamera, Schnitt) entwickelt sich ein packender Bergfilm, dessen Kletter- und Sturzszenen an Dramatik in nichts denen in Kevin McDonalds "Sturz ins Leere" nachstehen. Mitten drin im Geschehen fühlt man sich bei dieser quasidokumentarischen Erzählweise, bei der auch das geschickte Akzentuieren entscheidender Momente, das mächtige Aufdrehen der Musik und der heulende Wind für Dramatik sorgen und eine Atmosphäre erzeugen, bei der man auch auf der sommerlichen Piazza mit den Bergsteigern friert. Und für Gefühl sorgt schließlich eine ergänzte fiktive Liebesgeschichte, die freilich ein allzu pathetisches Ende findet.

Neu erfunden hat Opern- und Videoclipregisseur Philipp Stölzl mit "Nordwand" den Bergfilm sicher nicht, liefert aber eine Rückkehr vom amerikanischen Spektakelkino à la "Vertical Limit" zu den Ursprüngen. Keine Nostalgie, keine Schnörkel, wohl aber Mythisierung des Berges wie im deutschen Bergfilm der 1930er Jahre bringt "Nordwand" und weckt Erinnerungen speziell an den Klassiker "Die weiße Hölle vom Piz Palü" weckt. – Direktes physisches Kino ist Stölzl mit seinem zweiten Spielfilm gelungen – und eine Rettungsaktion mit einem Schlussbild, das bei aller pathetischen Übersteigerung, im Gedächtnis haften bleibt.

Wie bei den Bergsteigern durch einen Schlechtwettereinbruch alles aus dem Ruder läuft, gerät das Leben Frank Allens, der Seminare für Zeiteffizienz hält, dadurch in Unordnung, dass seine Frau die Uhr statt zehn Minuten vor die gleiche Zeit zurück stellt. Dass Frank die Fähre nich erreicht, ist noch das kleinste Unglück in dieser sympathischen und wendungsreichen,aber auch kreuzbraven und harmlosen Komödie. Hinreißend greift dank eines vorzüglichen Drehbuchs ein Rädchen ins andere und Regisseur Marcos Siega versteht es auch geschickt auf einen Gag immer noch einen draufzusetzen und nicht nur die durchwegs sympathischen Figuren, sondern auch den Zuschauer zu überraschen.

Zu viele überraschende Wendungen mutet dagegen Hannes Stöhr dem Zuschauer in "Berlin Calling" zu. Die Geschichte um die Veröffentlichung eines neuen Albums eines Elektro-DJs, die sich durch einen durch Drogenkonsum verursachten Psychiatrie-Aufenthaltung verzögert, scheint hier nur Anlass, um dem Berliner DJ Paul Kalkbrenner, an dessen Leben sich der Film orientieren soll, und seinen wummernden Beats eine Plattform zu bieten. Handlung gibt es mit Querelen mit dem Plattenlabel und mit der Freundin sowie Eskapaden in der Psychiatrie und Diskussionen mit der von Corinna Harfouch gespielten Chefärztin genug, doch egal was passiert, letztlich bleibt alles folgenlos und haften bleibt höchstens der Blick in die von Drogen und schnellem Sex bestimmte Welt dieser Techno-Clubs.