Lieber Libertango?

18. August 2010 Rosemarie Schmitt
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Astor Pantaleón Piazzolla war "Der Schatz vom Silbermeer". Seine Eltern gaben ihm den Namen Astor, dessen provinzialische Bedeutung der des Falken ist. Sein zweiter Vorname Pantaléon wiederum stammt aus den altgriechischen Worten panta = in allem, pan = alles, allumfassend, und leon = der Löwe.

Natürlich wurde Astor Piazzolla in Argentien geboren. Es war der 11. März 1921 in Mar del Plata, was so viel bedeutet wie Silbermeer. Es ist der “argentinische“ Monat mit dem meisten Niederschlag und durchschnittlich angenehmen 26 Grad, und in Argentinien ist im März noch oder bereits Sommer. An einem solchen Tag wurde also ein Goldjunge am Silbermeer geboren, aus dem in den nächsten Jahren der Tango-König werden sollte, und seine wohl berühmteste Komposition wird einmal der "Libertango" sein.

Und dabei mochte er die Tangomusik als Kind nicht einmal. Ja er hasste sie geradezu. Jedenfalls die Tangomusik, die er bei seinem Vater, der einige Tango-Schallplatten besaß, hörte. Diese Art Musik war dem jungen Astor zu brutal, frauenverachtend und viel zu aggressiv. Zu jener Zeit wurde der Tango in Argentinien meist in Spelunken und Gasthäusern gehört, in denen das niedere Volk, das Pack, verkehrte. Und in der Tat hatte der Tango eine frauenverachtende Absicht. Einzig die Mutter galt in dieser Unterwelt als "reine" weibliche Gestalt. Man könnte auch sagen, nein, ich nenne den Tango "den Walzer Argentiniens", denn der Walzer hatte in seinen Anfängen in unseren Breitengraden eine sehr vergleichbare Zuhörerschaft. Alles Walzer? Alles Tango!

Seinen Eltern zuliebe lernte Astor Pantaleón Piazzolla neben dem Klavier auch das Bandoneon spielen, obwohl er, wie ich bereits erwähnte, gegen die Tango-Musik, die sein Vater ständig hörte, eine Art Widerwillen empfand. Daß aus ihm einer der perfektesten Bandoneonspieler wurde und der weltbeste Tango-Komponist hätte niemals auch nur eine einzige Seele geglaubt. Und als weltbestes Tango-Orchester gilt das "Sexteto Mayor". Mit solchen Superlativen bin ich stets äußerst vorsichtig und bezweifle die Wahrhaftigkeit solcher Aussagen. Doch mir liegt eine CD-Aufnahme vor, die das Label "Goya" beim Schallplattenvertrieb EDEL herausbrachte. Und nachdem ich diese CD "Pasión y Tango" gehört habe bin ich davon überzeugt, daß es stimmt. Das "Sexteto Mayor" ist das beste Tango-Orchester der Welt!

Diese CD trägt den Untertitel "Homenaje a Piazzolla". Eine Hommage (frz. homme, lat. homo, "Mensch") ist ein öffentlicher Ehrenerweis meist auf eine berühmte Persönlichkeit, der man sich verpflichtet fühlt, und meist stehen die Urheber einer Hommage selbst in der Öffentlichkeit. Dies alles macht eine Hommage aus, und dies alles trifft auch zu. Diese CD wurde mit dem "Latin Grammy Award" für die beste Tango-Aufnahme ausgezeichnet. Auf ihr ist auch eine Komposition von José Libertella zu hören. Er gehörte einst zur klassischen Besetzung des Sexteto Mayor und verstarb im Jahre 2004. Also, was meinen Sie? Lieber Libertella oder lieber Libertango?

Können Sie eigentlich Tango tanzen? Nein? Aber das ist doch ganz einfach. Tanzhaltung so eng wie es beiden liegt, Oberkörper in festem Kontakt mit Spannung halten. Linker Arm fest, rechter Arm umfaßt Dame direkt unter der Achsel und gibt ihr Halt. Oberkörper sind zueinander geneigt (nur bei den Ochos steht die Dame gerade). Tanzschritte gehen, vorw Fersenschritte (Dame schieben, übt Gegendruck aus). Immer einen Fuß nach dem anderen setzen, Herr vor/Dame rück, Herr rück/Dame vor, beide seit. Meist geht Herr vor und Dame rück, besonders bei vielen Paaren auf der Tanzfläche usw. usw... Der Tangolehrer Erik aus Nijmegen bringt es auf den Punkt: Die Dame sollte "ja sagen" können, bevor sie "gefragt" wird.

Und dann noch ein Tipp einer Tanzschule: Argentinischen Tango lernt man am besten durch häufiges Tanzen! - Ach was! Ist das denn die "Possibillitie"?
Der Tango Argentino hat mit dem europäischen Standard-Tango nur wenig gemeinsam. Er ist sanfter. Nicht so starr und abgehackt. Sie haben es noch immer nicht verstanden? Also gut, ein letzter Versuch: Ocho vorw: normal Ocho rückw: LF seit - RF vorkreuz (li neben Dame / Dame kleine Drehung, Fersen zusammen) LF platz (Dame Drehung zurück) ... RF vor + LF Ocho vorw (vorkreuz re neben Dame) ... oder Dame schnell begleiten: RF vorkreuz + LF platz - RF seit + LF platz ...Ansonsten nur Gehschritte, Wiegen und einfache Seit-Schluß-Seit-Schluß-Kombinationen. Schrittfolge: Basse (nicht schließen sondern RF seit) - LF schluß - RF rück -

Nein meine Damen, das ist nicht etwa eine Strickanleitung für die kommende Winterkollektion! Es ist der Teil einer Anleitung einer Argentinischen-Tango-Schule. Ich lasse das lieber bleiben, sonst folgt dem Tango auf dem Fuße sicher Fango! Aber wissen Sie was? Man muß den Tango auch nicht unbedingt tanzen können! Das Hören dieser CD bereitet auch ohne Tanz unvergleichliche Freude.

Im kältesten Monat in Argentinien, es werden so etwa 11,1 Grad gewesen sein, am 4. Juli im Jahre 1992 stirbt der Tango-König Astor Pantaleón Piazzolla in Buenos Aires. Jener, dem als Kind der Tango seines Vaters so verhasst gewesen ist. Er nahm es dem Tango nicht übel, arbeitete an und mit ihm und machte aus dem ungeliebten, aggressiven Rauhbein einen heißgeliebten, wahrhaft sinnlichen Tango-Agentino.

Lieber Tango? Ja, lieber Libertango!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt