"Lettere amorose" – nicht nur liebe Liebesbriefe auf italienisch

8. Dezember 2010 Rosemarie Schmitt
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Im Herbst jeden Jahres ist die Liste der Neuerscheinungen auf dem CD-Markt ganz besonders lang. Da bleibt es nicht aus, daß nicht alle Veröffentlichungen wirklich neu sind, daß so einiges bereits gehört oder gar unerhört ist. Doch hin und wieder gelingt es einem Label dann doch eine echte Überraschung in dieser Liste zu verbergen.

Eine dieser überraschenden Aufnahmen hält die Deutsche Grammophon für mich, für Sie, für alle, bereit. Ich liebe diese Einspielung! Ich liebe die Liebesbriefe aus dem 17. Jahrhundert. Ich liebe die Art, wie die Mezzosopranistin Magdalena Kožená diese Liebesbriefe singt. Das Album "Lettere Amorose" ist eine wundervolle Idee, an diese barocken Liedkompositionen zu erinnern. Lieder, die Geschichten erzählen von Liebe, Sehnsucht, Leiden, Schmerzen und Verlangen selbst über den Tod hinaus. Geschichten, die so alt sind wie das Leben.

Doch sowohl die Texte als auch die Musik sind nicht ausschließlich zuckersüß und allerliebst. Sie fordern einen Beweis für diese Behauptung? Also gut, hier ein Beispiel aus dem Text des Liedes "Ma ché" von Sigismondo d’India:

(...) kalte Küsse, die ich mir heiß erhoffte,
will ich von Deinen bleichen Lippen stehlen;
einen Teil von Dir will ich den Klauen des Todes rauben,
indem ich diese toten, blassen Lippen küsse (...)

Erinnern diese Zeilen, dieses Thema, nicht ein wenig an die Geschichte der unsäglichen Salomé, die Richard Strauss und Oscar Wilde lange nach der Zeit des Barock noch faszinierte?

Sei’s drum, hier und heute geht es um die Musik von Komponisten, die um das Jahr 1550 herum bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts geboren wurden. Mit einer einzigen Ausnahme, die ich mit Freude entdeckte! Zwischen einem Dutzend komponierender, italienischer Mannsbilder versteckt sich eine einzige Frau! Doch würde sie diese Formulierung lesen, sie wäre außer sich, denn versteckt hat sie sich niemals! Das entsprach einfach nicht ihrem Naturell. Eine Frau, die sich vor beinahe 400 Jahren in vielerlei Hinsicht den Männern gleichzustellen wußte, ohne die Unterstützung einer Beauftragten! Barbara Strozzi, eine Komponistin, geboren in Venedig im August des Jahres 1619.

Sie strotzte vor, und trotzte dem Leben! Sie verschwendete keine Zeit mit Forderungen nach Rechten und Freiheiten für Frauen. Sie handelte und handelte sich vieles ein. So etwa Respekt, Anerkennung, Lob und auch Ruhm. Sie überzeugte in der Tat und auch mit Worten. Und was sie zu sagen hatte, sang sie bisweilen. Bei einer von ihr geleiteten Debatte in der Accademis degli Unisoni widmete sie sich und anderen die Frage, ob nun denn die Tränen, oder aber die Musik die besseren Waffen in der Liebe seien.

"Ihr wäret wohl nicht erschienen mich weinen zu sehen, anstatt mich singen zu hören", sprach sie und sang.

Barbara strotzte vor Leben und Tatendrang. Die alleine erziehende Mutter vierer Kinder sang und komponierte. Sie publizierte mehr als 125 Einzelwerke in insgesamt 8 Bänden. Ihre Kompositionen und auch ihr Äußeres zeugten von außergewöhnlichem Formenreichtum. Das bekannteste ihrer Bilder zeigt sie sehr freizügig mit ihrem zur Hälfte entblößten Oberkörper. Diese Freizügigkeit und ihre Musikalität waren durchaus nicht ungewöhnlich, schließlich lebte sie in Venedig.

Venedig entwickelte schon vor sehr langer Zeit eine Affinität zur weiblichen Musikalität und auch zum Kurtisanentum. Es war gar ein Phänomen dieser Zeit, daß die Beschäftigung mit der Musik in besonderem Maße den Kurtisanen vorbehalten war. Der Musik maß man eine ganz besondere erotische Bedeutung zu, und für die Erotik waren offiziell ganz bestimmte Frauen zuständig. Barbara war eine ganz bestimmte Frau, eine ganz besondere, ganz bestimmte Frau!

Auf dem wunderbaren Album "Lettere amorose" singt Magdalena Kožená das Lied "L’Eraclito amoroso" von der einzigartigen Barbara Strozzi. Doch die Kompositionen der 12 Mannbilder sind auch nicht schlecht! Sie sind sogar ganz besonders gut! Dieses Album ist auf der langen Herbstliste dieses Jahres eines der außergewöhnlichsten und interessantesten, ach, ich liebe diese Aufnahme. Und Sie werden sie auch lieben. Und die Person, der sie diese CD zum Fest der Liebe schenken werden, wird Sie dafür ganz sicher auch lieben!

Alles Liebe, Ihre Rosemarie Schmitt