Lehren und Lernen

19. September 2019 Bernhard Sandbichler
ab/am 20.09.2019
Bildteil

SchülerInnen müssen alles selbst lernen. Aber nicht allein. Wo sie gebraucht werden, sollten sie da sein: LehrerInnen. Bleibt die Frage, wie gut sie diesen Erziehungsauftrag bewerkstelligen.

Achse 1: Diagnose
Seit Jahrhunderten wird gern über die Verlotterung der Schule gelästert. Unmäßig ausgesäte Freiheit, so heißt es landläufig, ernte boshafte Undankbarkeit und schwere Mängel. Unmäßig eingeforderte Disziplin allerdings ebenfalls.

Achse 2: Prognose
Relevante Lösungen des Konflikts zwischen Ideal und Wirklichkeit, sagt der heuer verstorbene familientherapeutische Guru Jesper Juul aus Dänemark, erforderten fundiertes Wissen, wer die Beteiligten seien, welche Art von Beziehung sie hätten und welche spezifischen Änderungen sie sich wünschten oder bräuchten. Er spricht hier von Individuen, nicht von sozialen Rollen. Und fügt hinzu: „Der Erfolg einer Intervention hängt vom Engagement der Erwachsenen, der Erfahrung des Kindes, einbezogen und ernst genommen zu werden, und einem ethischen Konzept ab, das nicht auf Strategien und Moralisieren aufbaut.”

Achse 3: Entwicklung
Das Problem eskaliert, wenn Kinder pubertieren. Vorher ergibt sich Autorität aufgrund des Wissens- und Altersgefälles; nachher bricht das weg. Erziehung ist dann weniger möglich, Beziehung muss an ihre Stelle treten.

Achse 4: Intelligenz
Alex Beard, Englischlehrer aus London, ist wissbegierig um die Welt gereist. Wie machen das die besten LehrerInnen, dass Kinder gern lernen?„Wir müssen”, plädiert er in seinem enthusiastisch quirligen Wälzer, „unsere Werte überdenken, unser Bildungssystem neu aufstellen und eine Revolution des Lernens vorantreiben.” Lebenslanges Lernen, kritisch denken, kreativ werden, Persönlichkeit entwickeln, früh beginnen, Zusammenarbeit fördern, Unterrichten üben, Technologie klug zum Einsatz bringen, die Zukunft gestalten - eigentlich wirken die neun Punkte seines Manifests nicht gerade originell. Aber er präsentiert es mit Greta Thunberg’scher Unbeirrtheit, und hat wahrscheinlich recht damit.

Achse 5+6: Körper+Psyche
Was die Situation zäh erscheinen lässt und Revolutionsansätze zu Rohrkrepierern macht, ist beides: ein abgestumpfter Lehrkörper und festgefahrene Bildungskörperschaften einerseits, zentralisierte Standards und lokale Wirkungsohnmacht andererseits. Jürgen Kaube ruft in Erinnerung: LehrerInnen sollten die Freiheit haben, sich eigene Gedanken über das Pensum zu machen. „Solche eigenen Gedanken sollten sich auch ganze Schulen und Schulgemeinden machen dürfen.”

Achse 7: Alltag
Kaubes Appell: „Desinteresse am Unterricht ist eine Form von Selbstschädigung. Deswegen dürfen die Lehrenden den Schülern gegenüber keine fatalistische Einstellung pflegen, so als sei es das Schicksal bestimmter Stoffe - und womöglich sogar der Schule insgesamt -, für die meisten uninteressant und bloße Pflichtübung zu sein.”

Jesper Juul, Nelle Jensen: Vom Gehorsam zur Verantwortung. Wie Gleichwürdigkeit in der Schule gelingt. Aus dem Englischen von Karin Wirth. Weinheim, Basel: Beltz 2019, 320 Seiten, EUR 20,60

Jürgen Kaube: Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder? Berlin: Rowohlt Berlin 2019, 336 Seiten, EUR 22,70

Alex Beard: Wie Kinder gerne lernen. internationale Konzepte für eine Schule der Zukunft. Aus dem Englischen von Franka Reinhart und Claudia Van Den Block. München: Piper Verlag 2019, 459 Seiten, EUR 24,70