Künstlerische Appropriation durch Selbst- und Re-Inszenierung

Mit Aneta Grzeszykowska und dem Künstlerpaar Wolfgang Prinz und Michel Gholam stellt Camera Austria vom 14. März bis 18. Mai 08 im Kunsthaus Graz zwei Positionen vor, die sich auf Ikonen der Kunstgeschichte beziehen. Beide haben den Charakter von (Wieder-) Aufführungen eines ikonologisch abgesicherten Bilderkanons, der sich ins kulturelle Gedächtnis ihrer BetrachterInnen eingeschrieben hat

Aneta Grzeszykowska zeigt ihre Serie der "Untitled Film Stills" (2006), mit der das gleichnamige Werk (1977 – 1980) von Cindy Sherman en détail wiederaufgeführt wird. Hatte Sherman mit ihren Bildern u.a. feministisch motivierte Diskurse um die Dekonstruktion mythologisierter Weiblichkeitsdarstellungen mit angestoßen, und über das Standfoto (als Artefakt der Massenkultur) Konzepte von Meisterschaft in Frage gestellt, so sind ihre Arbeiten heute – ebenso wie die Künstlerin – selbst zu Ikonen avanciert.

In ihrer Durcharbeitung stellt Grzeszykowska nun einerseits erneut Fragen nach Meisterschaft und Originalität: Der viel bewunderten Wandlungsfähigkeit in den Selbstinszenierungen Shermans z.B. spricht sie Hohn durch ihre perfekten Nach-Inszenierungen. Dem Original in Schwarzweiß hält sie jedoch ihre schrill farbigen Standfotos gegenüber, nicht nur um hier einen Zeitenwechsel und Transformierungsprozess anzuzeigen, sondern auch um den glamourösen USamerikanischen Vor-Bildern eine explizit osteuropäische Variante entgegenzusetzen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob heute – nach Judith Butler – das Spiel mit den Geschlechteridentitäten eine neue Sichtweise eröffnet – oder umgekehrt: ob die narrativen Formen z.B. des Standbildes sich grundsätzlich geändert haben. Denn dass diese nach wie vor identitätsmächtig sind, verdeutlicht eine weitere Arbeit von Aneta Grzeszykowska, die wir in Graz ausstellen: In "Album" hat sich die Künstlerin aus all ihren digitalisierten Familienfotos herausgelöscht.

Prinz Gholam zeigen in Graz nicht nur eine Auswahl ihrer fotografischen Arbeiten (2001 – 2006), sondern eröffnen die Ausstellung darüber hinaus mit einer Performance. Den Prolog zu "Ein Ding mehr" bildet die Re-Inszenierung einer Einstellung aus dem Film "Salò" von Pier Paolo Pasolini: die Berührung eines einander zugewandten Paares, eine Pose, deren Zwanghaftigkeit und Brutalität im filmischen Original durch das Ausblenden des szenischen Zusammenhangs im Tableau vivant von Prinz Gholam nicht mehr nachvollziehbar ist.

Das nahezu reglose Verharren der Künstler öffnet den Raum für neue Erzählungen: Der Betrachter gewärtigt (z.B.), dass es zwei Männer sind, die sich hier zueinander bewegen, stellen oder legen, die sich zärtlich berühren. Gleichwohl geben sie (wie auch schon Sherman bzw. Grzeszykowska) kein Bild von sich als Individuen oder Paar, sondern scheinen in der Bewegung und ihrem Festhalten bzw. Einfrieren für ein (neues) Bild zu arbeiten. Es ist aufschlussreich, dass sich Prinz Gholam dabei nahezu ausschließlich auf Kunstwerke beziehen, die einer im weitesten Sinne idealistischen Auffassung folgen. Selbst von Pasolini ist bekannt, dass seine Filme und sein visueller Zugang stark durch eine Vorliebe für Gemälde geprägt waren.

Die Darstellung der Geschlechter beispielsweise, die in den Vor-Bildern – wie "Maria mit dem Kinde" (Baldung Grien), "Venus und Adonis" (Tizian), "Salome und Johannes" (Il Guercino) – noch als Differenz angelegt ist, gerinnt nun in den exakten Nach-Stellungen durch Prinz Gholam aber zu etwas Neuem: Die Differenz der Geschlechter als ein Aspekt der Bildbetrachtung tritt in den Hintergrund, und ein tradiertes Identifikationsprinzip gerät vollkommen durcheinander – denn die sozialen Beziehungen und Konventionen, die den Vor-Bildern eingeschrieben sind, verschieben sich. Prinz Gholam schlagen eine andere Lesart ihrer Bilder vor: Sowohl die Fotografien als auch ihre Performances können als Versuch verstanden werden, die Idealität der Malerei glaubhaft und realistisch vorzuführen und eine Anarchie der Bilder zu provozieren.


Aneta Grzeszykowska / Prinz Gholam
14. März bis 18. Mai 2008