Kühler Realist und leidenschaftlicher Pazifist: Georg Wilhelm Pabst

1. Februar 2010 Walter Gasperi
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Neben Murnau und Lang wurde Georg Wilhelm Pabst mit Filmen wie "Die freudlose Gasse" oder "Die Büchse der Pandora" zum dritten großen Regisseur des deutschen Stummfilms. Dem Expressionismus setzte er mit seinem Werk aber Realismus und einen genauen sozialkritischen Blick entgegen, der auch seine meisterhaften ersten Tonfilme kennzeichnet.

Am 28. August 1885 im österreichisch-ungarischen Raudnitz (Böhmen) geboren schlug Georg Wilhelm Pabst zunächst eine Theaterlaufbahn ein. Er spielte in zahlreichen Rollen und lebte von 1910 bis 1914 in den USA. Als er von dort zurückkehrte, wurde er von den Franzosen aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs interniert. Dennoch konnte er in diesen vier Jahren eine Gefangenen-Bühne gründen, ehe er nach Kriegsende nach Prag zurückkehrte, wo er als Regisseur arbeitete.

Über den Drehbuchautor und Regisseur Carl Frölich kam Pabst Anfang der 1920er Jahre zum Film und feierte im Alter von 37 Jahren 1922 mit "Der Schatz" sein Regiedebüt. Schon mit seinem dritten Film "Die freudlose Gasse" (1925) gelang ihm ein Meisterwerk. Eindrücklich schildert er in dieser grimmigen Sozialstudie unterstützt von großartigen Darstellern wie Wolfgang Krauß, Asta Nielsen und Greta Garbo die Klassengegensätze im Wien der Nachkriegszeit. Auch wenn die Handlung melodramatisch ist, so besticht der Film dennoch durch den genauen, aber auch kühlen Blick für die sozialen Verhältnisse, die ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der "Neuen Sachlichkeit" machten.

Engagement legte er auch jenseits seiner Filme an den Tag, indem er gegen die Filmzensur opponierte oder sich von der vom rechten Hugenberg-Konzern bestimmten Ufa löste und seine Filme für die Nero-Film von Seymour Nebenzal drehte. Auch plante er als Gegenstück zu Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" einen Film über den Kieler Matrosenaufstand von 1918 und schon 1926 eine Verfilmung von Heinrich Manns "Professor Unrat" mit Emil Jannings in der Hauptrolle.

Von Freuds Psychoanalyse ließ Pabst sich bei "Geheimnisse einer Seele" (1926) beeinflussen, in dem er die Wahnvorstellungen eines Mannes kühl als Krankheit analysiert, deren Ursache in verdrängten Jugenderlebnissen und Minderwertigkeitskomplexen liegt. Bei der Wedekind-Verfilmung "Die Büchse der Pandora" setzte er dann vor allem auf expressive Großaufnahmen und Atmosphäre. In starken Bildern erzählt Pabst die Geschichte des Showgirls Lulu (herausragend: Louise Brooks), das den Männern, denen sie begegnet, den Tod bringt, ehe sie selbst in den Slums von London ein Opfer des Frauenmörders Jack the Ripper wird.

Im Gegensatz zu anderen Regisseuren gelang Pabst der Übergang zum Tonfilm problemlos. Nachdem er zusammen mit Arnold Fanck den Bergfilm "Die weiße Hölle vom Piz Palü" (1929) gedreht hatte, knüpfte er mit seinen folgenden drei Filmen an die sozialkritische Linie seiner Stummfilme an. "Westfront 1918" (1930) ist das deutsche Pendant zu Lewis Milestones "All Quiet on the Western Front". Mag er mit der amerikanischen Remarque-Verfilmung vielleicht auch nicht ganz mithalten können, so ist Pabst hier ein in seiner realistischen Schilderung des Stellungskriegs doch erschütternder Antikriegsfilm gelungen. Nicht weniger pazifistisch – und durchaus auch links – ist "Kameradschaft" (1931), in dem Pabst von einem Grubenunglück an der deutsch-französischen Grenze erzählt. Über die nationalen Grenzen hinaus starten die deutschen Bergleute eine Rettungsaktion für die eingeschlossenen französischen Kollegen, retten sie und verbrüdern sich. An ein Happy-End will Pabst aber so wenig glauben wie in "Westfront 1918", in dem er das Wort "Ende" mit einem Fragezeichen versah. Denn während sich die Bergleute in "Kameradschaft" verbrüdern, wird im Bergwerk das die Nationen trennende Gitter im grenzüberschreitenden Verbindungsstollen wieder angebracht.

Umstritten war zu seiner Entstehungszeit die Verfilmung von Bert Brechts und Kurt Weills "Die Dreigroschenoper". Die Autoren strebten sogar einen Prozess gegen den Film an, da er die Vorlage verfälsche. Auf der Handlungsebene nah an "Die freudlose Gasse" tritt hier an die Stelle der Abbildung der Realität die Stilisierung der Kulisse, durch die die Handlung wie ein Traum abläuft. Der sozialkritischen Tendenz tut das aber kaum einen Abbruch, vielmehr wurde diese durch die Änderung des Schlusses sogar noch verschärft.

An diese Meisterwerke konnte Pabst in der Folge nie mehr anknüpfen. Nachdem er in Frankreich "Don Quichotte" (1932) gedreht hatte, ging er in die USA. Mit dem dortigen Studiosystem kam er aber nicht zurecht und kehrte nach dem Misserfolg mit "A Modern Hero" (1934) und dem Scheitern mehrerer Projekte nach Europa zurück. Zunächst arbeitete er wieder in Frankreich, dann drehte er im nationalsozialistischen Deutschland "Komödianten" (1941) und das Biopic "Paracelsus" (1942), laut Thomas Brandlmeier keine faschistischen, wohl aber systemkompatible Filme.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er mit dem Antisemitismusdrama "Der Prozess" (1948) ein schon 15 Jahre zuvor ins Auge gefasstes Projekt verwirklichen, konnte damit aber ebenso wenig bei der Kritik reüssieren wie mit der Schilderung der letzten Tage Hilers in "Der letzte Akt" (1955) oder der Schilderung des Stauffenberg-Attentats in "Es geschah am 20. Juli" (1955).

Mit der "romantischen Symphonie" "Durch die Wälder, durch die Auen" nach Motiven aus dem Leben von Carl Maria von Webern drehte Pabst 1956 seinen einzigen Farbfilm, der auch zu seinem letzten Film wurde. Diabetis und Parkinson verhinderten eine Fortsetzung seiner Arbeit und am 29. Mai 1967 starb er in Wien an einer akuten Leberinfektion.

Ausschnitt aus "Westfront 1918"