Kokoschka – Dürrenmatt: Der Mythos als Gleichnis

Das Centre Dürrenmatt Neuchâtel (CDN) präsentiert eine Ausstellung zu Ehren von Oskar Kokoschka und Friedrich Dürrenmatt, zwei wichtige Künstler des 20. Jahrhunderts, die sich persönlich begegnet sind, und die beide antike Mythen als Mittel zur Kritik ihrer eigenen Zeit heranzogen. Dank einer umfangreichen Leihgabe der Fondation Oskar Kokoschka umfasst die Ausstellung rund hundert Werke von Oskar Kokoschka (1886–1980) und Friedrich Dürrenmatt (1921–1990). Sie bezeugt die bis heute andauernde Faszination für die Schlacht bei den Thermopylen in den Künsten, politischen Ideologien oder in der Populärkultur. Die Ausstellung wird am Samstag, dem 15. Dezember 2018, um 17 Uhr eröffnet und bis zum 31. März 2019 zu sehen sein.

Am 25. März 1960 treffen sich Friedrich Dürrenmatt und Oskar Kokoschka in Kokoschkas Haus in Villeneuve bei Montreux. Daraufhin widmet Dürrenmatt ihm ein Gedicht, in welchem er die gegenständliche Kunst verteidigt und Kokoschkas Werk "Thermopylae" (1954) rühmt. Kokoschka benutzt diese antike Schlacht zwischen Griechen und Persern, um auf die Notwendigkeit der Vereinigung der Kräfte in Westeuropa in Zeiten des Kalten Krieges hinzuweisen. Die Ausstellung präsentiert die Vorzeichnungen zu diesem monumentalen Gemälde. Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigte sich auch Dürrenmatt mit dem Schicksal der 300 Spartaner, die 480 v. Chr. unter der Führung ihres Königs Leonidas bei den Thermopylen den persischen Invasoren Widerstand leisteten. Die Zeichnung "Die Thermopylen-Schlacht" (1938/39), eine Leihgabe aus einer Privatsammlung, wird hier erstmals ausgestellt. Beiden Künstlern galt die antike Schlacht als Gleichnis für aktuelle Konflikte, sei es der Zweite Weltkrieg oder der Kalte Krieg.

Kokoschka bediente sich auch anderer antiker Mythen zur Vermittlung künstlerischer und politischer Botschaften, genau wie Dürrenmatt, für den die griechischen Götter und Helden eine unerschöpfliche Inspirationsquelle darstellten, sowohl in seinem literarischen, als auch in seinem künstlerischen Schaffen. Er illustrierte das Trauerspiel "Penthesilea" von Heinrich von Kleist sowie die Komödie "Die Frösche" von Aristophanes, in welchem die Frösche symbolisch für die nicht selbstständig denkenden Mitläufer stehen. In der Verteidigung der stets gefährdeten Demokratie liegt für Kokoschka die Zeitlosigkeit dieser antiken Komödie. Auch denunziert er mit Euripides’ Tragödie "Die Troerinnen" den Krieg allgemein. In seiner Komödie "Herkules und der Stall des Augias" verwendet Dürrenmatt ebenfalls ein Gleichnis: er lässt Augias sein Land als "liberalpatriarchalisch, zwischen dem attischen Seebund, der spartanischen Hegemonie und dem persischen Weltreich lavierend" charakterisieren. Unschwer sind darin die verschiedenen Lager im Kalten Krieg zu erkennen: Europa als attischer Seebund, die USA als spartanische Vormachtstellung und die UdSSR als persisches Weltreich. Zwischen diesen "laviert" unter neutraler Flagge die Schweiz.

Die beiden Künstler identifizierten sich gleichermassen mit mythologischen Gestalten. Kokoschka empfand die Irrfahrten des Odysseus als Gleichnis seines eigenen, von Verfolgung und Exil geprägten Lebens. Zwischen 1963 und 1965 schuf er Lithografien zur Odyssee. Dürrenmatt stellte sich seinerseits regelmässig in Gestalt des Minotaurus, Prometheus, Midas, Orpheus oder des Sisyphos dar. Aufgrund seines Hangs, seine Schriften ständig umzuschreiben, verglich er sich mit Sisyphos, der seinen Felsblock immer wieder von unten den Berg hinaufwälzen musste.

Friedrich Dürrenmatts Gedicht "An Oskar Kokoschka" enthält ein Plädoyer für die gegenständliche Kunst sowie eine Kritik an der Zürcher Schule der Konkreten. Sowohl Dürrenmatt als auch Kokoschka mischten in den 1950er Jahren in der Polemik, die sich die Verfechter der abstrakten Kunst mit den Verteidigern der gegenständlichen Kunst leisteten, kräftig mit. Die abstrakte Malerei wurde zum Ausdruck des "freien Westens" erhoben, während Gegenständlichkeit mit "sozialistischem Realismus" gleichgesetzt wurde. Kokoschka widersprach dieser Kategorisierung, indem er auf die gegenständliche Kunst der antiken Griechen hinwies, denen Europa den Begriff der Demokratie verdanke. Gleichermassen verteidigte Dürrenmatt die Porträtkunst seines Freundes Varlin, die Max Bill 1970 für "nicht mehr aktuell" erklärte.

Nach dem 11. September 2001 erlebte die Schlacht bei den Thermopylen in den USA eine Konjunktur, wobei die Gefahren aus dem Osten dieses Mal in Form von Terrororganisationen erscheinen. Das von Zack Snyder produzierte Antikenspektakel "300" (2007) zeichnet ein plakatives Bild vom "freien Westen", der sich gegen Terroristen aus dem Osten verteidigt. Verschiedene Beispiele zeigen die Aneignung des Mythos der Geschichte von der Schlacht bei den Thermopylen. Der fiktive Souvenirladen am Ende des Ausstellungsparcours zeigt, wie beliebt die Figur des Leonidas heute in der Populärkultur ist.


Kokoschka – Dürrenmatt: Der Mythos als Gleichnis
16. Dezember 2018 bis 31. März 2019
Vernissage: Sa 15. Dezember 2018, 17 Uhr