Kleider machen Leute

Für ihr neues großes Foto-Projekt "Kleider machen Leute", das seine Erstpräsentation im Deutschen Hygiene-Museum erlebt, hat die Fotografin Herlinde Koelbl sechzig Menschen in Deutschland und im Ausland portraitiert - zunächst in ihrer Standes- oder Berufsbekleidung und anschließend so, wie sie sich in ihrer Freizeit kleiden. Erforscht wird in dieser Fotoserie, was die unterschiedlichen "Uniformen" aus den Menschen machen.

Unsere Kategorien der Wahrnehmung anderer Menschen werden in dieser Ausstellung bestätigt und gleichzeitig verunsichert: In welcher Kleidung zeigen sich die Porträtierten in ihrer soziales Rolle, in welcher kommt ihr individueller Charakter zur Geltung?

Vertreten sind Menschen aus Berufsgruppen, in denen eine spezifische Kleidung traditionell eine große Rolle spielt wie etwa beim Militär, in den Kirchen oder im Hotelwesen; daneben sind aber auch Menschen aus zahlreichen anderen Professionen beteiligt: ein Astronaut, ein Bergmann, eine Bundesverfassungsrichterin, ein Clown, ein Diplomat, eine Domina, ein Jockey, eine Kaminkehrerin und ein Koch, ein Lufthansakapitän, ein Metzger, ein Polizist, eine Verkäuferin, ein Sargträger, ein Zimmermann und viele andere.

Die Uniform entindividualisiert den einzelnen Menschen, aber sie verleiht dem Träger auch Status und die Gewissheit, einer besonderen Gruppe anzughöhren - nicht selten einer Elite. Uniform kann aber auch das Gegenteil von Aufstieg bedeuten: Als Symbol der Degradierung, der Demütigung wie z.B. in frühren Zeiten bei der Anstaltskleidung. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wird sichtbar durch die jeweilige Uniform, die dann getragen werden will oder muss. Formen, Farben, Streifen, Schulterklappen geben dem Kleidungsstück ein besonderes Gepränge und dem Träger ein imposantes Gefühl. Aufstieg und Macht werden durch symbolische Insignien sichtbar.

"Ich trage meine Uniform gerne und bin auch stolz darauf. Man schlüpft in die Rolle des Kapitäns und strahlt automatisch Autorität aus. Man spürt den Respekt, aber auch die Verantwortung. Beides gehört zu meinem Berufsbild." - mit diesen Worten beschreibt ein Lufthansa-Kapitän sein Verhältnis zu seiner Berufskleidung. Und Herlinde Koelbl bemerkt dazu: "Nun sticht er heraus aus der Masse der grau-dunkel gekleideten Menschen. Wenn er nach den Passagieren aus dem Flugzeug steigt, ist er durch seine schmucke Uniform, die seine Stellung ausdrückt, etwas Besonderes. Er bewegt sich anders. Die Uniform verleiht ihm ein anderes Körpergefühl und Stolz, er ist selbstsicherer, eine Respektsperson. Hätte er seine Uniform vor dem Verlassen des Flugzeuges abgelegt, würden ihn die Passagiere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wieder erkennen. Er wäre einer von ihnen geworden."

Mit einem Blick wird anhand der Uniform die Stellung in der Hierarchie erkannt. Die Gruppe wird durch diese von allen akzeptieren Merkmale strukturiert und das Verhalten entsprechend ausgerichtet. Regeln werden leichter akzeptiert als im übrigen Leben, wo diese erst ausgelotet werden müssen.

Herlinde Koelbl fragt in ihrer neuen Fotoausstellung nach den Veränderungen des Menschen durch das Tragen einer Uniform. Wie ändert sich das Selbstbewusstsein, der Gang, das Körpergefühl und dadurch dann das Verhalten. Gibt es eine größere Anerkennung, einen größeren Respekt, eine größere Sicherheit, ein mutigeres, ein patriotischeres Empfinden? Wie verändert sich das Gruppenverhalten durch die gemeinsame Kleidung? Werden Hierarchie und Befehle leichter akzeptiert? Gibt es eine größere Bewunderung, Bestätigung und Annäherung von Frauen für Männer in Uniform? Wie wichtig ist die Standeskleidung für den Menschen? Für den Chefarzt in Weiß, den Jäger, den Butler, den Fahrer in Uniform, den Steward, den McDonalds-Verkäufer oder den Maitre? Welche Wirkung erzielt der Uniformträger und wie ist die Wechselwirkung zwischen Betrachter und Uniformiertem?

Die Ausstellung "Kleider machen Leute" zeigt auf rund 800 Quadratmetern etwa sechzig Bildpaare. Den Fotos beigegeben sind Nahaufnahmen von Körperpartien, Kleidungsdetails und kurze Statements der Portraitierten.

Kleider machen Leute
4. Mai bis 29. Juli 2012