Karusell fahren im Kunsthaus

Vom 12. April bis 1. Juni 2008 ist im Kunsthaus Bregenz die Schau "Carrousel" von Carsten Höller zu sehen. "Carrousel" ist eine Ausstellung sich kreisförmig drehender und sich unendlich oft wiederholender Dinge. Die einzelnen Stockwerke und das Dach versammeln Arbeiten von Carsten Höller von sehr unterschiedlicher Bauart und Wirkung, aber das Drehende und das Wiederholende ist ihnen allen gemein. Die Arbeiten spiegeln in der Ähnlichkeit ihrer Bewegung die sich von Stock zu Stock wiederholende Architektur des Gebäudes und widersetzen sich ihr gleichzeitig durch ihren unsteten, tänzelnden Charakter und ihre fast gegensätzlichen Formsprachen.

Im Erdgeschoss erwartet die BesucherInnen das riesige, 17 Meter im Durchmesser messende, für den Außenraum gebaute Karussell RB Ride. 12 Gondeln für jeweils 2 Personen drehen sich sehr langsam im Kreis und schrauben sich ungeheuer träge bis zur Decke des Kunsthauses in 6 m Höhe empor und zurück zum Ausgangspunkt. 15 Minuten brauchen die Benutzer für eine solche Fahrt, 15 gestohlene Minuten, in denen man in der Höhe gefangen gewiss nichts von dem Nervenkitzel verspürt, für dessen Erzeugung das Gerät ursprünglich entworfen wurde. Wie eine viertelstündige Umleitung der Zeit.

In der Etage darüber dreht sich das Kunsthaus selbst, so scheint es. Die Wände sind durchlaufend mit einem Fries aus Zehntausenden weiß leuchtenden Dioden versehen, die so geschaltet sind, dass die vier Wände aufeinanderfolgend blinken. Das schnelle Blinken der Lämpchen führt bei den BetrachterInnen zu halluzinatorischen Nachbildern und vor allem zu erstaunlichen Farbwahrnehmungen in Rot, Blau und Grün. Die Wirkung des Lichtraums kann allerdings zum jetzigen Zeitpunkt nur aus einer früheren Arbeit des Künstlers, der Lichtwand, abgeleitet werden – was dann wirklich geschieht, bleibt nach Fertigstellung zu überprüfen, denn einen solchen Raum gab es bisher noch nicht.

Der 2. Stock ist genau in der Mitte diagonal geteilt und in der einen Hälfte entlang der Wände vollflächig mit Spiegeln verkleidet. Die räumlich gleichwertige andere Hälfte bleibt unverändert. Die verspiegelte Hälfte des Raumes spiegelt die nichtspiegelnde andere. Die Drehbewegung entsteht hier über den Einsatz des rechten Winkels in zwei Ecken der verspiegelten Fläche, die das unverspiegelte Gegenüber (und die BetrachterInnen) sowohl spiegelverkehrt als auch (durch die Doppelspiegelung) "richtig herum" wiedergibt. Je nach Position erscheint der gleiche Gegenstand der Betrachtung "verkehrt" oder "nicht verkehrt". Von den meisten Standpunkten können beide Formen gleichzeitig gesehen werden. Die selben Spiegel wurden bereits in einer früheren Installation im Kunsthaus von Daniel Buren installiert; die Wiederverwendung entspricht dabei ganz der Rotation als Leitmotiv dieser Ausstellung.

Im obersten Stock befindet sich das "Drehende Hotelzimmer" – 3 übereinander angeordnete, sich teilweise überschneidende und im Zeitlupentempo in verschiedene Richtungen drehende runde Glasscheiben, die über einer sich ebenfalls drehenden Grundplatte aus demselben Material angeordnet sind. Die Scheiben sind mit Einrichtungsgegenständen bestückt, welche die Grundfunktionen eines gewöhnlichen Hotelzimmers erfüllen: Liegen/Schlafen, Sitzen/Arbeiten, Anziehen/Ausziehen. Durch das Mobiliar und die Glasscheiben hindurch ist die sich drehende Tragekonstruktion aus Stahl sichtbar, wie bei einer großen durchsichtigen Uhr. Das "Drehende Hotelzimmer" kann während der Dauer der Ausstellung jeweils freitags oder samstags für eine Nacht als Einzel- oder Doppelzimmer gebucht werden, so dass die Hotelgäste von 18.30 Uhr abends bis 8.30 Uhr morgens den Luxus einer Nacht haben, in der das Kunsthaus und die Ausstellung ganz allein ihnen gehört.

Auf einer Projektionswand im gleichen Stock ist, einem Blick aus dem Fenster des Hotelzimmers gleich, die Fliegende Stadt zu sehen, die sich offensichtlich genau über einem befindet: Man erkennt den Bodensee, die Stadt Bregenz und die Berge in der sich einmal pro Stunde um die eigene Achse drehenden Liveübertragung im Hintergrund wieder. Die Fliegende Stadt im Vordergrund der Projektion ist eine vollkommen aus durchsichtigem Material gebaute, kreisförmige Konstruktion mit sieben sich drehenden Türmen, die auf einen Entwurf des russischen Architekten Georgi Krutikow aus dem Jahre 1928 zurückgeht. Er entwarf damals eine fliegende Stadt, in der die Menschen wohnen und arbeiten sollten; die Erde diente ausschließlich der Erholung und sozialen Zwecken.

Carsten Höller beschreibt seine Ausstellung "Carrousel" als ein Selbstporträt für jede und jeden und als Versuch, die innere Mechanik nicht nur zu beschreiben, sondern vor allem zu stören, zu verstören, aus ihrer zombiehaften Blindheit zu reißen, oder sich zumindest dem notwendigen Scheitern dieses Unterfangens zu stellen, sich sich selbst auszuliefern.


Der ausstellungsbezogene Katalog präsentiert die fünf in Bregenz gezeigten Werke, darunter die eigens für das Kunsthaus Bregenz geschaffenen Neuproduktionen. Im Mittelpunkt steht die Kreisbewegung und die Irritation der Wahrnehmung, das Spiel von Geschwindigkeit und Erwartung und deren Destruktion. Carl Roitmeister untersucht in seinem Essay hintergründig das "Carrousel". Carsten Höller: Carrousel. Deutsch/Englisch; Hrsg. von Eckhard Schneider. Grafik: Christoph Steinegger, Interkool, Hamburg. Text von Carl Roitmeister, ca. 128 Seiten, 24 x 24 cm, ca. 30 Farbabbildungen. Erscheinungstermin: April 2008, Preis: EUR 42.-

Carrousel

12. April bis 1. Juni 2008