Jüdische Porträts

In den Jahren 1986 bis 1989 porträtierte die Fotokünstlerin Herlinde Koelbl deutschsprachige, jüdische Persönlichkeiten, die der Shoah entkommen waren, mit der Kamera und führte eindringliche Dialoge mit ihnen. Vom 5. Februar bis 23. März 2008 zeigt WestLicht. Schauplatz für Fotografie rund 35 dieser großformatigen Originalabzüge in Verbindung mit Zitaten aus diesen Interviews.

Um in den 1930er und 40er Jahren dem Nazi-Regime und damit der Shoah zu entkommen, blieb den meisten Persönlichkeiten jüdischer Abstammung nur der Weg ins Exil. Nur wenige kehrten nach dem Krieg zurück in ihre alte Heimat. Herlinde Koelbl fotografierte und befragte sowohl jene, die heimkehrten als auch jene, die es vorzogen, im Exil zu bleiben. Sie sprach mit ihnen über ihr Verständnis von jüdischer Tradition, Religion und Heimat, über ihre Haltung zu Israel, Deutschland und Österreich. Die freilich sehr unterschiedlichen Antworten sind – jeweils in Verbindung mit den hochsensibel fotografierten Porträts – überaus persönliche Erinnerungen jeder/s einzelnen GesprächspartnerIn.

Die Fotografien und Interviews stellte sie in der Publikation "Jüdische Porträts" (1. Auflage: 1989) gegenüber. Entstanden ist daraus das Porträt jener jüdisch-deutschen Generation, welche die Zerschlagung dieser Kultur miterleben musste und sie überlebte. Vor diesem Hintergrund ist Herlinde Koelbls Arbeit als historisch überaus aufschlussreiches Zeitdokument zu lesen: als wertvolles geschichtliches Unternehmen, da heute nur mehr wenige der Interviewten noch am Leben sind.

Am 31. Oktober 1939 in Lindau (am Bodensee) geboren, lebt und arbeitet Herlinde Koelbl in Neuried bei München. Die gelernte Modedesignerin wechselte in den 1970er Jahren, als Autodidaktin, zur Fotografie. Im Zentrum ihres Œuvres steht immer der Mensch. Insbesondere mit ihren Foto-Arbeiten beweist sie ihr besonderes Talent für das Porträtieren von Milieus und Personen. Koelbl befasst sich meist intensiv, oft über mehrere Jahre hinweg, mit gesellschaftspolitisch brisanten Themen. Dies mag wohl mit ein Grund dafür gewesen sein, warum sie seit Ende der 1980er Jahre zu den in Deutschland meistdiskutierten Fotografinnen zählt.

Parallel zu ihren Büchern, die stets das Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit sind, veröffentlichte sie häufig themengleiche Dokumentarfilme. Koelbl fotografierte außerdem für Printmedien wie den Stern, die Zeit und die New York Times.

Mit ihrem ersten Buch "Das deutsche Wohnzimmer" (1980) erregte sie Aufsehen, da es - lange vor Big Brother - Einblicke in das Privatleben bekannter Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur bot. Einen z.T. boshaften, oft entlarvenden Blick auf das Leben der High Society warf sie mit der Arbeit "Feine Leute" (1991). Hierfür dokumentierte sie bei Empfängen, Festlichkeiten, Vernissagen und Modeschauen weniger das Geschehen selbst als die Anwesenden, deren Kleidung und Verhalten. Das Buch enthüllte ein breites Spektrum unfeinen Auftretens: von eitler Selbstdarstellung über die Gier am Buffet bis zu älteren Herren, die sich mit jungen Frauen als Begleitung dekorieren.

Die Arbeiten "Männer" (1984) und "Starke Frauen" (1996), ein Statement zum Schlankheitswahn, enthalten sehr mutige und ehrliche Aktporträts. Fotografiert wird dabei nicht nur Körper, sondern sie porträtiert in erster Linie Menschen.

Ihr bislang umfangreichstes Projekt war eine Langzeitstudie, für die sie von 1991 bis 1998 jährlich 15 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft fotografierte und interviewte. Unter dem Titel "Spuren der Macht – Die Verwandlung des Menschen durch das Amt" erschien 1999 ein Bildband, der u.a. die Veränderung von Joschka Fischer, Gerhard Schröder und Angela Merkel darstellt, sowie ein Dokumentarfilm dazu, der auch im Fernsehen ausgestrahlt wurde.

2003 drehte sie über Benjamin von Stuckrad-Barre den Dokumentarfilm "Rausch und Ruhm", der seinen Weg durch den Drogenentzug zeigt. Zuletzt setzte sie sich mit dem Thema Haare (2007) auseinander und schafft dabei eine Studie über ein zentrales Merkmal menschlicher Identität.


Herlinde Koelbl. Jüdische Porträts
5. Februar bis 23. März 2008