Joseph H. Lewis: Ein Meister des abgründigen Film noir

24. November 2008 Walter Gasperi
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Nicht zu den allgemein bekannten und allseits anerkannten großen Meistern des amerikanischen Kinos zählt Joseph H. Lewis. Mit kleinen B-Filmen und fing er in den späten 1930er Jahren an und drehte mit "Gun Crazy" (1949) und "The Big Combo" (1955) zumindest zwei ebenso düstere wie geniale Meisterwerke.

"Deadly is the Female" hieß "Gun Crazy", als diese frühe "Bonnie & Clyde"-Variante Ende der 1940er Jahre erstmals in die Kinos kam: Die Leidenschaft fürs Schießen bringt Bart Tare und Annie Laurie zusammen, doch während er nur auf leblose Ziele schießt, hat die Kunstschützin mit dem Töten von Menschen kein Problem. Sie will ein Leben in Luxus und, da das ohne Geld nicht machbar ist, macht er, der ihr verfallen ist, bald bei Raubüberfällen mit. - Der schwache und dumme Mann hier, die gierige, verführerische Frau dort – beliebt ist diese Figurenkonstellation im Film noir von Billy Wilders "Double Indemnity" bis zu Tay Garnetts "The Postman Always Rings Twice".

Weiter psychologisiert wird in "Gun Crazy" nicht: Kino ist Bewegung und die steigert Lewis durch einen elliptischen Erzählstil. Drive entwickelt dieser Film durch stets neue überraschende Kameraeinstellungen, legendär der in einer vierminütigen Einstellung vom Rücksitz eines Wagens gefilmte Banküberfall, kaum weniger gewagt und ungewöhnlich die Blicke von unten durch das Lenkrad auf den Fahrer und dazwischen immer wieder Blicke durch die Windschutzscheibe. - Roh, aber vital ist dieses Kino, aufregend bis zum letzten Bild, wenn das Paar in einem Nebel verhangenen Nationalpark gestellt wird. Vor allem die Franzosen konnten sich schon in den 1950er Jahren für diese amour fou begeistern, sahen in dieser absoluten und bedingungslosen Liebe eine subversive Kraft, die sich allen gesellschaftlichen Normen widersetzt.

1900, nach anderen Quellen auch erst 1907 geboren, da Lewis sich nach eigener Aussage älter gemacht habe um einen Job als Kamera-Assistent zu bekommen, wechselte er bald von MGM zu kleineren Produktionsgesellschaften um auch einmal die Chance zu bekommen Regie zu führen. 1937 gab er sein Regiedebüt und drehte bis 1942 23 Filme, überwiegend Serienwestern, in der Regel kaum länger als 60 Minuten, mit singenden Cowboys wie Bob Baker. Genau geplant musste dabei alles sein, denn in sechs Tagen mussten diese Filme abgedreht sein. Lewis versuchte aber nicht Szenen aus dem Drehbuch einfach umzusetzen, sondern experimentierte mit Bildkompositionen und Kamerabewegungen. Die filmische Gattung, die dieser Lust an der Arbeit mit dem Visuellen dann am meisten entgegenkam, war der Film noir.

In "My Name is Julia Ross" (1945) folgt die Kamera beispielsweise mehrere Minuten einer Person über eine Straße in ein Haus und zeigt erst am Ende ihr Gesicht. Ganz ungewöhnlich für einen Film noir dann das Setting von "So Dark the Night" (1946), der im ländlichen Frankreich spielt und mit expressionistischen Stilmitteln den Wahnsinn der Hauptfigur vermittelte. Wie in diesen beiden Filmen findet sich auch in "Cry of the Hunted" (1953), in dem ein security officer eines Gefängnisses einen geflüchteten Häftling durch die Sümpfe Louisianas verfolgt, das Motiv des Identitäts- bzw. Gedächtnisverlust und der Persönlichkeitsspaltung.

Sein neben "Gun Crazy" bekanntester und wohl auch bester Film gelang Lewis aber mit "The Big Combo" (1955), der zusammen mit Robert Aldrichs "Kiss Me Deadly" (1955) zu den schwärzesten Filmen des Film noir zählt. Wie in Fritz Langs "The Big Heat" (1953) ist hier ein Polizist davon besessen einen Gangsterboss zur Strecke zu bringen. Bindeglied zwischen Jäger und Gejagtem, die wie in "Cry of the Hunted" zwei Seiten einer Medaille darstellen, ist dabei die Liebe zu einer verführerischen blonden Frau. Und dann gibt es hier natürlich das vom führenden Noir-Kameramann John Alton in Szene gesetzte Spiel mit Licht und Schatten.

Vier Western drehte Lewis nach "The Big Combo" noch, von denen "The Hallyday Brand" (1957) und "Terror in a Texas Town" (1958) als die bemerkenswertesten gelten. Geht’s im ersten um eine an King Vidors "Duel in the Sun" (1946) erinnernde Vater-Sohn-Geschichte mit der Rebellion des Jungen gegen den selbstherrlichen Alten, erzählt der zweite von der Rückkehr eines Seemanns, der sich mit dem Mörder seines Vaters konfrontiert sieht.

Danach spezialisierte er sich auf TV-Serien, blieb aber auch hier dem Western treu. Bis 1965 drehte er unter anderem 51 Folgen von "The Rifleman" ("Westlich von Santa Fe"), eine Folge von "Bonanza", zwei Folgen von "Gunsmoke" ("Rauchende Colts") und drei Folgen von "Big Valley", ehe er sich auf Wunsch seiner Frau vom Filmgeschäft zurückzog und mit ihr das Leben an Bord seiner Yacht genoss. Als in den 1970er und 1980er Jahren seine Filme in Europa wiederentdeckt wurden, begleitete er ihre Präsentation bei Festivals und in Filmmuseen. - Joseph H. Lewis starb am 20.8.2000 im Santa Monica, Kalifornien.