Jäger & Sammler in der zeitgenössischen Kunst

Wie viel "Jäger & Sammler" steckt heute noch in uns, fragt Christian Jankowski, wenn er in einer Video-Performance seine Beute mit Pfeil und Bogen im Supermarkt erlegt. Was macht einen Gegenwartskünstler wie Carsten Höller zum Pilzsammler? Folgt der Maler Glen Rubsamen in der Zusammenstellung eines heutigen Kuriositätenkabinetts im Kern dem gleichen Jagdtrieb und der gleichen Sammellust wie der Jäger und Schlossherr Friedrich Daniel von Diergardt bei der Einrichtung seines Morsbroicher Trophäenraums? Wenn wir auf das Jagen und Sammeln gar nicht mehr angewiesen sind, es aber trotzdem mit Leidenschaft und Hingabe tun: Was sagt das über die Natur des Menschen, was über seine Kultur?

Vielfältige, ungewöhnliche, kritische und auch anrührende Einsichten in Motive und Formen heutigen Jagens und Sammelns geben die an der Ausstellung beteiligten KünstlerInnen David Chancellor, Henry Coombes, Sinje Dillenkofer, Mark Dion, Daniel & Geo Fuchs, Christian Gonzenbach, Roderick Hietbrink, Carsten Höller, Christian Jankowski, William Lamson, Claus Kienle, Isa Melsheimer, Guy Oberson, Simona Pries, Glen Rubsamen, Erik Schmidt, Andreas Slominski, Tinkebell und Francis Zeischegg.

Bereits vor dem Museumseingang trifft der Besucher im Park auf ein üppig eingerichtetes Jagd-versteck des amerikanischen Künstlers Mark Dion. In diesem weiß offensichtlich ein Schlemmer (The Glutton) das erlegte Wildbret mit Stil zu genießen. Doch die Hütte ist derart überschwemmt von Würsten, Knochen und Dekor, dass sie in ein Zerrbild der Völlerei umkippt, eines maßlosen jagdlichen Übereifers. Von der anderen Seite des Schlosshofs wird man derweil vom erhöhten Posten eines Jägersitzes ins Visier genommen, den Francis Zeischegg eigens für die Ausstellung konstruiert hat. Man besteigt den Hochsitz (Blind) und blickt durch schachtartige Fensteröffnungen, die Zitate von obachtungsbunkern ehemaliger DDR-Grenzanlagen sind. Ebenso unheimlich ist die Erfahrung eines Zaunüberstiegs inmitten der Ausstellung, von dem man nicht weiß, ob er nur in ein abgesperrtes Revier im Wald führt oder ob er zur Verletzung einer politischen Grenze verleitet.

Als zwei elementare Kulturtechniken der Annäherung an und der Aneignung von Natur greifen das Jagen und das Sammeln eng ineinander – im Aufbewahren und Ausstellen der Beutetiere als Trophäen wird der Jäger zum Sammler, auf der Suche nach seltenen Stücken der Sammler zum Jäger. So porträtiert David Chancellor in einer Fotoserie die Mitglieder des Dallas Safari Clubs als Großwild-Sammler, Isa Melsheimer begibt sich in ihrer Installation auf die Spur professioneller "Pflanzenjäger" und präsentiert einstige botanische Exoten in einer seltsamen Sammlung unbeachteter Zimmerpflanzen. Die niederländische Künstlerin Tinkebell erzählt von einer unglaublichen Leidenschaft für das Ausstopfen selbst geschossener Tiere, das für ein amerikanisches Mädchen (Amy Taxidermy) ebenso zur ihrem Alltag geworden ist wie dem früheren Schlossherrn von Morsbroich die Arbeit am Schreibtisch in seinem sogenannten "Jagdzimmer", das den Ausgangs- und Bezugspunkt dieser Ausstellung bildet.

Der mächtige Hirschgeweih-Lüster von Schloss Morsbroich konnte für die Ausstellung anhand von historischen Fotografien rekonstruiert werden. Im holzgetäfelten Ambiente des Jagdzimmers führt dieser Geweihleuchter zusammen mit dem prächtigen Kamin und den erhaltenen Schränken die Geschichte dieses Schlosses umso lebendiger vor Augen, in der sich die Jagd und das Sammeln von Kunst verbinden.


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Wienand Verlag, Köln, mit einem einleitenden Essay von Fritz Emslander und einem Beitrag zur jagdlichen Geschichte des Schlosses Morsbroich von Gabriele John (160 Seiten, 140 Farbabbildungen; EUR 24.- an der Museumskasse, ca. EUR 34,- im Buchhandel).

Jäger & Sammler in der zeitgenössischen Kunst
21. September 2014 bis 11. Januar 2015