Irakkrieg, Afghanistan und chilenische Geschichte

26. September 2007
Bildteil

Auf filmisch völlig unterschiedliche Weise setzen sich beim 55. Filmfestival von San Sebastian Nick Broomfield mit einem US-Massaker im Irak, Hana Makhmalbaf mit der Situation in Afghanistan und Carmen Castillo mit dem Putsch gegen Allende auseinander.

Von anderen Filmfestivals unterscheidet sich San Sebastian auch durch die Kinos, in denen die Filme laufen. Ohne Multiplexe kommt man zwar auch hier nicht aus, die Wettbewerbsfilme werden aber in zwei prächtigen Theatern gezeigt. Die Augen übergehen können einem beim Betreten des 1912 erbauten Teatro Victoria Eugenia mit seinen fünf Galerien und einem Deckengemälde. Nach siebenjähriger Renovierung steht dieser Prunkbau dem Festival wieder zur Verfügung, ist zweifellos sein schönster Raum, aber auch das Teatro Principal muss man nicht verstecken. Im Kontrast zum Glanz vergangener Zeiten, von dem diese Bauten künden, steht oft die schreckliche Realität von heute, von denen die hier gezeigten Filme erzählen.

Der Brite Nick Broomfield rekonstruiert in "Battle for Haditha" mit pseudodokumentarischen Mitteln den Tag des Massakers von Haditha. In dieser irakischen Stadt töteten US-Marines nach einem Bombenanschlag, dem ein amerikanischer Soldat zum Opfer fiel, am 19. November 2005 24 in den benachbarten Häusern wohnende Zivilisten, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Multiperspektivisch blickt Broomfield in einer Parallelmontage auf Alltag und Angespanntheit der Soldaten, das Vorgehen der Attentäter und ihre Hintermänner und auf die Zivilbevölkerung. Mit hautnah geführter, teils hektischer Handkamera versetzt er den Zuschauer dabei in die Situation aller drei Gruppen. Eine Innensicht des Krieges liefert der Brite dadurch, zeigt dass auch Soldaten und Terroristen im Grunde Opfer sind, gelenkt durch die amerikanische Politik auf der einen Seite und radikale Islamisten auf der anderen, die um die antiamerikanische Stimmung zu schüren rücksichtslos auch die Massakrierung irakischer Zivilisten in Kauf nehmen, ja diese sogar gezielt provozieren. Leidtragende der Spiele der Mächtigen sind aber letztlich die Zivilbevölkerung, deren Schicksal durch die Fokussierung auf wenige Individuen erschütternd vermittelt wird. – Klar ist die Botschaft "Beendet diesen Krieg!", tiefere Einsichten vermittelt "Battle for Haditha" durch die Innenperspektive und die Beschränkung auf die quasidokumentarische Rekonstruktion bis zur schonungslosen Schilderung des Massakers aber kaum.

Damit, dass das Grauen und das Schreckliche letztlich nicht abbildbar sind, bestenfalls verschoben überzeugend evoziert werden kann und sich die Bilder dazu im Kopf des Zuschauers einstellen müssen, arbeitet Hana Makhmalbaf in "Buddha Collapsed out of Shame". Am Anfang und am Ende stehen zwar Archivaufnahmen von der Sprengung der Buddha-Statuen im Bamian-Tal durch die Taliban, dazwischen entfaltet die 19jährige Iranerin aber eine einfache poetische Fabel um ein in den Höhlen um die zerstörten Statuen lebendes sechsjähriges Mädchen, das sich danach sehnt mit ihrem gleichaltrigen Nachbarn in die Schule zu gehen. Von nichts weiter als Baktays Bemühungen ein Schulheft zu kaufen, dem Mobbing durch Buben, die sie auf dem Schulweg "entführen", mit ihr Krieg spielen und sie als Sünderin steinigen wollen, und einer ersten Schulstunde erzählt der Film. Durch das Drehen am Originalschauplatz und die ruhige, aber genaue Erzählweise gewinnen trotz gewisser Längen schon kleine Ereignisse Gewicht und bewegen. So löst beispielsweise schon das Zerbrechen von zwei Eiern, mit denen Baktay ihr Heft kaufen wollte, einen regelrechten Schock aus und beklemmend sind die "Kriegsspiele". Denn einerseits ist nie klar, wie weit die Kinder dabei wirklich gehen, andererseits zwingen diese Szenen den Zuschauer sich die dahinter stehende Realität vorzustellen und machen diese so intensiver bewusst. Gleichzeitig ist dies nach "Schwarze Tafeln" und "Fünf Uhr am Nachmittag" von Hanas Schwester Samira Makhmalbaf aber auch ein weiterer Film, der die Bildungssituation und die diesbezügliche Benachteiligung der Frauen im Iran und in Afghanistan thematisiert.

Private und politische Geschichte zu verknüpfen gelingt der Chilenin Carmen Castillo in ihrem Dokumentarfilm "Rue Santa Fé – Calle Santa Fé". Castillo, die 1974 nach dem Sturz Allendes im Zuge der Verfolgung von Oppositionellen ihren Mann verlor und selbst gerade noch schwer verletzt ins französische Exil flüchten konnte, rekonstruiert mittels Archivaufnahmen und Interviews mit Beteiligten die damaligen Ereignisse, lässt aber gleichzeitig über einen sehr persönlichen Off-Kommentar, der zudem von Musik begleitet wird, ihre eigenen Gedanken einfliessen. So werden das Chile von einst und das von heute einander gegenübergestellt und implizit die Frage nach dem Sinn des damaligen Kampfes aufgeworfen: Hat sich der Widerstand der Oppositionellen gelohnt oder sind sie umsonst gestorben?