Das Östereichische Filmmuseum zeigt vom 1. bis zum 24. Juni 2007 das Werk von Richard Linklater, Zentralfigur einer Generation amerikanischer Filmemacher, die den Ernst der Populärkultur mit einer spielerischen Freude an philosophischen Konzepten zu versöhnen sucht.
Aufmerksame Kinogänger könnten meinen, sie seien gut vertraut mit Linklaters Schaffen, das sich zwischen den multiperspektivischen Erzählungen Slacker (1991) und Fast Food Nation (2006), dem surrealen Animations-Doppel Waking Life (2001) und A Scanner Darkly (2006), zwei romantischen Stadt-Begehungen (Before Sunrise und Before Sunset, 2004) und den gegenkulturellen Schulkomödien Dazed and Confused (1993) und The School of Rock (2003) entfaltet. Doch nur die Hälfte seiner Filme ist in Österreich im Kino angelaufen – in diesem Œuvre, das in 20 Jahren zu erstaunlich variabler Gestalt angewachsen ist, gibt es noch (und immer wieder) einiges zu entdecken.
Neben jenem knappen Dutzend an Kinofilmen, die Linklater seit Ende der 1980er Jahre – und seinem Durchbruch mit der Independent-Ikone Slacker – inszeniert hat, kennt die Werkliste dieses Regisseurs auch Arbeiten in anderen Formaten: z.B. das frühe Super-8-Road-Movie It’s Impossible to Learn to Plow by Reading Books (1988), das dokumentarische Post-9/11-Video Live from Shiva’s Dance Floor (2003) oder den gefeierten Halbstünder $5.15/Hr. (2004), Pilotfilm für eine aus politischen Gründen abgewürgte Comedy-Serie über junge Mindestlohnbezieher in »Corporate America«.
Linklater, geboren 1960 im texanischen Houston, weiß, wovon er spricht, wenn er von unterbezahlter Arbeit erzählt: Anfang der Achtziger verdiente er sich zweieinhalb Jahre lang seinen Lebensunterhalt auf einer Ölbohrinsel im Golf von Mexiko. Die Flexibilität des jugendlichen Gelegenheitsarbeiters hat sich Richard Linklater auch als Filmemacher bewahrt: Er fertigt kritische, politisch differenzierte Amerika-Analysen, philosophische Reisefilme und exzentrische Teenager-Lustspiele mit ebenso großer Detailfreude wie Kammerspiele (Tape, 2001), Neo-Western (The Newton Boys, 1998) und kleine Straßendramen (SubUrbia, 1996).
Seine stilistische Bandbreite ist allerdings auch auf die Filmbildung zurückzuführen, die sich der Autodidakt früh angeeignet hat: Mitte der achtziger Jahre gründete Linklater in Austin einen Filmclub, um dort die Werke von Fassbinder, Bresson und Ozu, von Monte Hellman, Georges Franju und Straub/Huillet zu zeigen.
Auf die Siebzigerjahre, seine eigene Teenagerzeit, bezieht sich Linklater gern – nicht nur in der grandiosen Dopehead-Satire Dazed and Confused. Die Philip-K.-Dick-Adaption A Scanner Darkly verweist in ihrer halluzinatorischen Form auf die Zwangsvorstellungen einer in der Post-68er-Lähmung paranoid gewordenen Gesellschaft: Retro-Futurismus zwischen Überwachungsstaat und Flucht in die Narkotika.
Linklater ist ein Regisseur alternativer Praktiken – bis heute arbeitet er von seiner Homebase in Austin, Texas aus – und kennt zugleich keine Scheu vor dem Mainstream oder etwaigen Distinktionsverlusten im Inneren Hollywoods. The School of Rock und sein entspannter Baseball-Jugendfilm Bad News Bears (2005), Remake eines Hits aus den 70er Jahren, sind gute Demonstrationsbeispiele dafür.
Bei aller Nonchalance erregt freilich nicht nur Linklaters aufklärerischer Gestus, sondern auch die Wahl seiner Mittel bisweilen Anstoß. Dabei ist das Insistieren des Filmemachers auf hohe Dynamik und Dichte in seinen Dialogen alles andere als »unfilmisch«. In den eigenwilligen Diskursen, die Linklater seine Figuren führen lässt, werden Alltags- und Fachweisheiten zum Besten gegeben: Wissens- und Vergessenswertes zu Existenzialismus, Chaostheorie und Nihilismus, zu Medienkritik, Physik und Metaphysik.
Nirgendwo wird der Zusammenhang von sprachlicher Präzision und direkter kinematografischer Wirkung deutlicher als in Linklaters amourösem Meisterwerk Before Sunset. Darin verbringen Julie Delpy und Ethan Hawke alias Celine und Jesse neun Jahre nach Before Sunrise knappe anderthalb Stunden miteinander, genau die Zeit eines Spielfilms eben, in den Straßen von Paris, in einem Café, an Deck eines Schiffs auf der Seine, in einem Apartment.
Das in Timing, Dialog und Choreografie so makellose Finale des Films ist die logische Kulmination einer Arbeit, in der Unterhaltungswert und Kunstanspruch nicht nur keinen Widerspruch mehr ergeben, sondern schlicht ineinander aufgehen. Seine Art des Filmemachens nennt Linklater, nach den Erfahrungen mit Fast Food Nation, scherzhaft »unamerikanisch«. Angesichts der Vergleiche mit Max Ophüls, Jean Renoir oder Eric Rohmer, die ihm seine Filme bei der US-Kritik eingetragen haben, könnte man diesen Gedanken auch auf anderer Ebene weiterführen.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit: In seiner unaufhörlichen ästhetischen Forschungsarbeit, in seinem Festhalten an sozialen Utopien und selbstironischem Skeptizismus ist das Kino des Richard Linklater genuin und im besten Sinne amerikanisch.
Richard Linklater
1. bis 24. Juni 2007