Indianer & Inuit – Lebenswelten nordamerikanischer Völker

Die Indianer- und Inuit-Sammlung gehört zu den Kernbeständen des Historischen und Völkerkundemuseums St.Gallen (HVM). Sie umfasst heute rund 500 Objekte und ist die grösste ihrer Art in der Ostschweiz. Die völlig neu konzipierte Dauerausstellung zeigt etwa 100 Exponate. Sie ist thematisch gegliedert und öffnet verschiedene Fenster in die Lebenswelten der Indianer und Inuit.

Die Welt der Indianer und Inuit fasziniert noch heute viele von uns – auch im Museum. Die Nordamerika-Ausstellung im HVM war aber museologisch veraltet. Die neue Dauerausstellung setzt thematisch und gestalterisch neue Akzente. Zudem präsentiert sie bisher unbekannte Schätze. Sie wurden im Verlauf der wissenschaftlichen Aufarbeitung entdeckt, die in den letzten vier Jahren erfolgt ist. Die Nordamerika-Sammlung enthält verschiedene Spitzenstücke und einzigartige Teilsammlungen. Herausragend ist die Sammlung von Alphonse Forrer (1836-1899), einem Naturforscher mit Ostschweizer Wurzeln. Er hatte sie 1878 in Oregon zusammengetragen, heute ist sie auf Museen in Berlin, Wien, Bern, Göttingen und St.Gallen verteilt. Unter den Einzelobjekten ist z.B. auf eine rituelle Hörnerhaube zu verweisen (Plains, um 1900), oder einen kufenlosen Holzschlitten ("Toboggan"), der mit allergrösster Wahrscheinlichkeit von einem Bestand der Pariser Weltausstellung 1889 herrührt.

Wissenschaftlicher Projekt-Verantwortlicher ist der Ethnologe Martin Schultz, vormaliger Sammlungsleiter der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, seit 1. Juli 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter Ethnografie am Bernischen Historischen Museum. Die Ausstellung zeigt acht Themenbereiche. Sie verfolgt den Lebensweg eines jeden Menschen von der Geburt an bis zum Erwachsenenalter, erklärt Geschlechterrollen und Sozialstruktur, religiöse Vorstellungen, Wirtschaftsformen, Ressourcen-Nutzung und den Einfluss der Umwelt. Gleichzeitig versäumt die Ausstellung nicht, die Beziehung von St.Gallen und Nordamerika und das Indianerbild in Mitteleuropa zu beleuchten. Die Sammlung des HVM dokumentiert die vielfältigen Kontakte der Textilstadt St.Gallen mit Nordamerika, für dessen indigene Kulturen sie sich schon früh interessierte. Die ältesten Objekte kamen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die Stadt. Eine Spurensuche im St.Gallen des Stickereibooms bestätigt das Bild. Die Native Americans waren bei uns damals erstaunlich präsent, zum Beispiel in Bildern, Büchern, Geschichten, Zeitungsberichten – und im frühen Kino.

Besonders wichtig ist der Ausstellung die Tatsache, dass die vorgestellten Kulturen nicht vollkommen isoliert existierten. Sie waren in teils transkontinentale Sozial- und Handelsnetze eingebunden, die auch schon vor Ankunft des „weissen Mannes“ bestanden. Und der spätere Kontakt mit Europa führte zu einer wechselseitigen Beeinflussung. So sind Tabak, Mais, Bohne, Sonnenblume und Kürbis aus Amerika zu uns gekommen, ebenso der Truthahn. Anorak und Kajak wurden mitsamt ihrem Namen übernommen. Aus Europa fanden Seiden- und Wollstoffe und vor allem Glasperlen und Metallgegenstände starkes Interesse seitens der indigenen Gruppen, die diese Handelsgüter nicht selbst herstellen konnten. Das Pferd ist aus unserem Indianerbild nicht wegzudenken, wurde jedoch erst von den Europäern in Nordamerika eingeführt. Heiraten zwischen Europäern und Indigenen führten zur Entwicklung von Mischbevölkerungen, den Métis, die mittlerweile in Kanada als ethnische Minderheit anerkannt sind. Erst die Einbeziehung dieser Aspekte in die Ausstellung schafft ein umfassendes, gegenwartsnahes Bild.


Indianer & Inuit
Lebenswelten nordamerikanischer Völker
29. August bis 31. Dezember 2015