Im Blätterrausch

Die Grafik hat im MdM Salzburg einen besonderen Stellenwert, da das Museum 1983 als "Moderne Galerie und Graphische Sammlung Rupertinum" eröffnet wurde. Das MdM Salzburg besitzt hochkarätige Grafiken von Egon Schiele, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Rudolf Alt, Franz Alt, Paul Klee, Andre Derain, Berthe Morisot, Herbert Boeckl, Lovis Corinth, Otto Dix, Lyonel Feininger, George Grosz, Erich Heckel, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Ernst Ludwig Kirchner, Alfred Kubin, Kurt Schwitters, Wilhelm Thöny, Max Weiler und vielen anderen Künstlern.

Die Erfassung und wissenschaftliche Dokumentation seines Bestandes gehören zu den Kernaufgaben eines Museums. Die systematische Aufarbeitung des bisher nicht erschlossenen Bestandes der vor 1945 entstandenen Originalgrafiken (exklusive Druckgrafik), also der Zeichnungen, Aquarelle und Collagen, war Ziel eines dreijährigen Projekts im MdM, das von der Art Mentor Foundation Lucerne, dem Land Salzburg und dem Verein der Freunde und Förderer des MdM finanziert wurde. Es handelte sich um rund 1.300 Werke von 293 Künstlern, die systematisch aufgestellt, wissenschaftlich dokumentiert, digitalisiert und konservatorisch gesichert sowie deren Inventarisierung überprüft und Provenienzen recherchiert werden mussten.

Die Highlights dieses Bestandes sind nun ab 22. Oktober in der Ausstellung "Im Blätterrausch. Zeichnungen Aquarelle, Collagen bis 1945" im MdM Mönchsberg zu sehen. Gezeigt wird auch jenes Pastell von Berthe Morisot mit dem Titel "Jeanne Pontillon à la capeline", das aus der Sammlung des französischen Kunstliebhabers und Sammlers David-Weill stammt und während der NS-Besatzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht 1940 vom so genannten "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" beschlagnahmt und enteignet wurde. Die bedenkliche Herkunft des Pastells von Morisot wurde im Zuge der Überprüfung der Provenienzen zum Bestand "Zeichnungen, Aquarelle, Collagen bis 1945" entdeckt. Die Salzburger Landesregierung hat jüngst die Restitution des Werkes an die Erben beschlossen.

Längst hat sich die Grafik aus ihrer dienenden Rolle als Vorzeichnung oder Skizze verabschiedet und sich als autonome Kunstgattung etabliert. Die Künstler schätzen sie als unkompliziertes und flexibles Mittel der Weltaneignung. Nur einige wenige mit Zeichenstift, Farbkreide oder Pinsel auf ein Blatt Papier hingeworfene Linien genügen, um einem Augenblick pulsierenden Lebens Ewigkeitswert zu verleihen. Die Grafik folgt ihren eigenen Gesetzen: sie geht nicht nur von einer vorhandenen Wirklichkeit aus, sondern sie erfindet spontan ihre eigenen Welten. Sie verhält sich dabei wie ein Chamäleon: Das eine Mal zeigt sie sich durch extreme Reduzierung und Selbstbeschränkung von ihrer abstraktesten Seite, das andere Mal quillt sie nur so über vor narrativen Details und farblichen Differenzierungen.

Ihre Handhabung erfordert jedoch nicht nur Spontaneität, sondern auch Können und künstlerische Leichtigkeit. Während ein Gemälde immer wieder überarbeitet werden kann, eine neue Malschicht die ältere überlagert, haftet an jedem Strich, der zu Papier gebracht wird, etwas Endgültiges. Obwohl oder gerade weil sie mit wenigen Mitteln auskommen muss, wohnt ihr ein direktes, ein sinnliches Moment inne.

Die Zeichnung fordert den Betrachter auf, genauer hinzusehen und dem Konturenverlauf der Linie mit den Augen zu folgen. In der Strichführung, der unterschiedlichen Breite und Tönung der Linie sowie dem An- und Abschwellen des Strichvolumens entdeckt der Betrachter die unverwechselbare Handschrift des Künstlers. Die großen stilistischen und thematischen Wenden in der Kunstgeschichte treten vielfach in Gemälden und Bildhauerarbeiten zu Tage. Die Vorbereitung dazu ist jedoch oft in den grafischen Studien und im zeichnerischen Impuls zu suchen. Gerade das Medium der Grafik, das weniger an traditionelle Vorstellungen gebunden ist, regt zu künstler ischen Experimenten an.

Anlässlich der Ausstellungseröffnung findet am 21. Oktober um 19.00 Uhr auch die Präsentation des Bestandskatalogs "Im Blätterrausch. Zeichnungen, Aquarelle, Collagen bis 1945" mit den Ergebnissen des Forschungsprojekts statt. Dem Katalog ist eine CD-Rom mit detaillierten Informationen und Hinweisen zu den einzelnen Werken einschließlich deren Provenienzen beigelegt. Demnächst wird dieser Bestand auch online abzurufen sein (als Link auf der Homepage des Museum der Moderne Salzburg). Die Publikation "Im Blätterrausch" (288 Seiten, mit 276 Abbildungen) ist im Museumsshop erhältlich.

Im Blätterrausch
Zeichnungen, Aquarelle, Collagen bis 1945
22. Oktober 10 bis 20. März 11