Im Anfang war das Wort…

Die Schriftreligionen haben schon lange zum Siegeszug in der Geschichte der Religionen angesetzt und stellten die oral-tradierten Religionen in den Schatten. Anstatt von "Weltreligionen" zu reden, wäre der Begriff "Buchreligionen" treffender gewählt. In den Hinduistischen Religionen sind die Veden das älteste, zentrale Werk. Die Buddhisten orientieren sich am Pali-Kanon, der auf die Lehren ihres Gründers (Siddhartha Gautama / Shakyamuni / Buddha) zurückgehen.

Der Tanach oder die Bibel bilden die Grundlage der jüdischen und christlichen Lehre. Der Koran im Glauben der Moselm ist Abbild eines himmlischen Korans, der bei Gott ist. Aber auch die zeitlich jüngeren Religionen wie der Sikhismus und die Bahá’i sind im Besitz von Heiligen Schriften. Ihren Ursprung haben die "Buchreligionen" nichts desto trotz meist in der mündlichen Überlieferung.

Die Religionsstifter sassen nicht im stillen Kämmerlein und haben Religionen gegründet, indem sie ihre Gedanken niederschrieben. Nein; göttliche Stimmen haben zu ihnen gesprochen, Engel sind erschienen und haben ihnen diktiert, was sie niederschreiben sollen, oder sie sind durch tiefe Einkehr zu durchdringenden Einsichten über die Welt und das Menschsein gelangt. Spielt also die gesprochene Sprache für die Religionsstifter eine herausragende Rolle, so behielt sie diese auch für die Gläubigen. Dies verdeutlichen die Gebete, die in den Religionen gepflegt werden. Einige Gebete sind personalisiert und tragen den Charakter eines Zwiegespräches zwischen dem "Göttlichen" und dem betenden Menschen. Mehrheitlich sind sie aber formelhaft gesprochen, meist gar kombiniert mit festgelegten Bewegungsabläufen. Auch Mantras kann man als Gebete begreifen.

Die gesammelten Schriften der Religionsstifter besitzen nicht alleine dadurch, dass der Inhalt von himmlischer Machart ist, Wichtigkeit, sondern oft werden diese Sammlungen selbst als heilig angesehen. In der orientalisch-orthodoxen Kirche Äthiopiens schlägt der Priester nach der Lesung die Bibel in wunderbar bestickten Brokatstoff ein und geht damit durch die Reihen der Gläubigen, um ihnen das Buch zum Kuss zu reichen. Er drückt es ihnen an die Stirn, damit sie Segnung davon empfangen können. Dem Heiligen Buch des Islam, dem Koran, kommt ebenfalls höchste Bedeutung im religiösen Leben der Gläubigen zu. Es wird über den Koran gesagt, dass er direkt vom Buch stammt, welches seit allen Zeiten schon bei Gott selbst ist. Das Guru Granth Sahib, das heilige Buch der Sikhs, darf aus Geboten der Reinheit nicht ausserhalb eines Tempels gezeigt werden.

Es ist nicht das Wort allein, die heiligen Schriften, die religiöse Inhalte vermitteln. Auch Objekte können dies tun. Betrachtet ein Christ ein Kreuz, "erzählt" ihm dieses die Leidensgeschichte Jesus aber auch die Lehre, dass durch seinen Tod die Menschheit erlöst worden sei. Im Judentum wird aus Respekt ein altes, ausgedientes religiöses Objekt nicht einfach in den Müll geworfen, sondern auf dem Friedhof bestattet. Das katholische und orthodoxe Christentum kennen wundermächtige Bilder und mehrere Religionen kennen Heilungen, die durch das Bad in heiligem Wasser ausgelöst werden. Kelche, Bilder, Statuen, Fotografien, Knochen, Textilien etc. unzählig fast sind die Gegenstände die vom Glauben erzählen können und religiöse Inhalte auf wortlose und doch beredete Art durch die Zeiten transportieren.


Göttlich - Wörtlich
12. September bis 13. Dezember 2009