Gewalt in aktuellen und historischen Kontexten zog sich leitmotivisch durch das Programm des 21. Internationalen Film Festivals Innsbruck. Stärker als der Spielfilm "Bayiri – Heimat" prägten sich dabei aber die Dokumentarfilme ein. Abseits dieser Thematik gab es mit "La vida util" auch eine echte Filmperle aus Uruguay zu entdecken, der mit 5000 Euro dotierte Filmpreis des Landes Tirol ging aber an den slowenischen Beitrag "Archeo".
Dass die von der Direktorin der Solothurner Filmtage Seraina Rohrer, der italienischen Regisseurin Michaela Occhipinto und dem polnisch-schweizerischen Kameramann Piotr Jaxa gebildete Jury den Hauptpreis des Festivals dem slowenischen Film "Archeo" zusprach, überrascht doch etwas. Mehr ein radikales Experiment als ein klassischer Spielfilm wurde damit ausgezeichnet, denn Jan Cvitkovic verzichtet nicht nur auf jeden Dialog, sondern weitgehend auch auf Handlungsaufbau.
Gleichermaßen archetypisch wie archaisch ist sein Film, in dem er einen Mann, eine Frau und einen Jungen der Natur aussetzt. Sind die drei zunächst getrennt, bekämpfen sie sich bald, kommen sich dann wieder näher und am Ende steht so etwas wie eine harmonische Familie.
Ohne Verbindung wechseln Szenen auf einem Feld, mit solchen im Wald, in einer Felslandschaft oder am und im Meer. Mal blickt die Kamera frontal auf die Protagonisten, mal übernimmt sie eine quasi-göttliche Perspektive und isoliert Mann, Frau oder Junge im Blick vom Himmel in der Landschaft. Großartig ist das fotografiert, fasziniert auch teilweise, ermüdet auf die Dauer aber auch, denn der Zuschauer wird mit den Bildern ziemlich allein gelassen und kann bestenfalls eine dünne Geschichte herauslesen, kann viel hineininterpretieren, doch nichts ergibt sich zwingend.
Ein echtes Filmjuwel gelang dagegen dem Uruguayer Federico Veiroj mit "La vida util". Veiroj erzählt von Jorge, der an der Cinemateca Uruguaya als Filmvorführer arbeitet. Er ist leidenschaftlicher Cineast doch um die Kinemathek steht es nicht zum Besten. Die Kinositze sind beschädigt, die Projektoren bedürfen dringend einer Reparatur, doch fehlt es am Geld. Als auch noch der Hauptsponsor ausfällt, muss das Kino geschlossen werden. Befürchten muss man, dass der Mittfünfziger nun ins Nichts stürzt, doch er lässt die Vergangenheit hinter sich und findet ein neues Leben.
Nicht nur inhaltlich, sondern auch formal zeugt "La vida util" von der Liebe zum Kino. Im klassischen Stummfilmformat und in Schwarzweiß ist er gedreht, beginnt lakonisch mit statischen Einstellungen und ohne Musik und wechselt zu Bewegung und musikalischer Beschwingtheit, wenn Jorge sich neu zu orientieren beginnt.
Fein eingestreut sind Anspielungen auf Stroheims "Greed", auf die Tanzfilme Fred Astaires oder über die Musik auf die Western von John Ford. Zu hoffen bleibt, dass dieser Film, der in seiner trockenen Erzählweise und dem mit dem Filmjournalisten Jorge Jellinek ideal besetzten Protagonisten in bester Tradition der uruguayischen Arthouse-Filme "Gigante" und "Whisky" steht, hierzulande einen Verleiher findet und in die Kinos kommt.
Passen bei "La vida util" Inhalt und Form kongenial zusammen, so kann "Bayiri – Heimat" von S. Pierre Yaméogo aus Burkina Faso vor allem durch sein inhaltliches Engagement überzeugen. Holzschnittartig und ohne Zwischentöne erzählt Yaméogo von Burkinabés, die einst in die Elfenbeinküste flohen, dort aber schließlich wieder als Ausländer Schikanen und Terror ausgesetzt sind. Ihr Heil suchen sie nun in der Flucht zurück nach Burkina Faso, lernen dabei aber wiederum die Brutalität der Militärs kennen und landen doch nur in einem Flüchtlingslager.
Mag sich "Bayiri" auch durchaus an der Realität orientieren, so erzählten die Dokumentarfilme in Innsbruck doch packender von Gewalt und Widerstand gegen Ausbeutung. Erschütternd schildert Fritz Ofner in "Evolution der Gewalt" die Zustände in Guatemala. Nicht erst durch 35 Jahre Bürgerkrieg (1962 – 1996) hat sich dort eine Kultur der Gewalt und die Vorstellung von Gewalt als adäquatem Mittel der Konfliktlösung entwickelt, sondern die Wurzeln liegen schon in den 1950er Jahren, als die Demokratisierungsbestrebungen durch amerikanische Interventionen im Interesse des Bananenkonzerns "United Fruit Company" abgewürgt wurden.
Ofner ist einerseits hautnah an der Gegenwart, wenn er an Tatorten filmt, die Alltäglichkeit und Allgegenwart der Gewalt und die daraus resultierende Abstumpfung zeigt, rollt andererseits mit einem Werbefilm von "United Fruit" sowie Reden von Henry Kissinger und Ronald Reagan, die Interventionen als notwendig im Sinne der Abwehr des Kommunismus und zum Schutz der Freiheit verteidigen, auch die Vergangenheit auf und macht in Erzählungen erschütternd die Gräuel des Bürgerkriegs bewusst.
Im Gegensatz zu dieser Dokumentation der Gewalt schildert der Schweizer Karl Saurer in "Ahimsa" ein Projekt des gewaltfreien Widerstands in Indien. Saurer brachte sein letzter Film "Rajas Reise" auf eine mehrwöchige Filmtournee in den Subkontinent, wo er in Dörfern den sich auf Gandhi berufenden gewaltfreien Widerstand kennenlernte.
Von der Regierung im Stich gelassen organisieren sich die Landbewohner hier selbst, bauen Brunnen oder bemühen sich um Landzuteilungen. In Jugendcamps werden sie geschult, wird die Kraft der Solidarität vermittelt und die Bevölkerung auf große Protestmärsche vorbereitet, die bestens koordiniert und völlig gewaltfrei ablaufen.
Saurer dokumentiert dieses Projekt in ruhigem Wechsel von Interviews und Landschaftsaufnahmen. Konventionell ist das gemacht, doch im unaufgeregten Fluss der Bilder und Erzählungen überträgt sich die Botschaft von der Kraft der Gewaltlosigkeit direkt auf den Zuschauer.
Mitreißend der Rolle des Punk beim Kampf gegen Apartheid, Diskriminierung und Unterdrückung im südlichen Afrika spüren Keith Jones und Deon Maas in "Punk in Africa" nach. Sie nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise von Johannesburg über Kapstadt, Durban und Mosambique bis Zimbabwe, interviewen Musiker, besuchen Schauplätze früherer Auftritte und mischen in dynamischem Schnitt, der der Musik entspricht, Archivaufnahmen, historische Zeitungsschlagzeilen und die Musik zu einem spannenden Dokumentarfilm, der den Bogen von der Vergangenheit bis zur Gegenwart schlägt.
Geht es in "Punk in Africa" um die Musik als Mittel des Protests, so erinnert Davy Chou in "Golden Slumbers" an eine Blütezeit des kambodschanischen Films, die durch das Regime von Pol Pot brutal abgewürgt. Nur noch wenige der 400 Filme, die zwischen 1960 und 1975 in Kambodscha entstanden, sowie Filmsongs sind erhalten, ein Großteil wurde von den Roten Khmer ebenso vernichtet wie ihre Regisseure und Schauspieler.
Chou, der der Enkel eines der wichtigsten Produzenten dieser "Goldenen Zeit" ist, lässt in seinem ruhigen Dokumentarfilm durch Interviews mit Überlebenden sowie erhaltenen Songs, dem Besuch ehemaliger Studios und Kinos die Erinnerung an diese Zeit und die Stimmung dieser Filme aufleben, dokumentiert damit aber auch gleichzeitig die Grausamkeit des Regimes von Pol Pot, dem zwischen 1975 und 1979 drei Millionen Kambodschaner zum Opfer fielen.