Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme!

1. Oktober 2007 Walter Gasperi
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Aus der Studentenbewegung der späten 60er Jahre entwickelte sich 1970 die RAF. Auf die "Gewalt gegen Sachen" folgte bald die "Gewalt gegen Personen", die 1977 im "Deutschen Herbst" ihren blutigen Höhepunkt erreichte. – Vom Agitprop-Film über die Schilderung der gesellschaftlichen Stimmung bis zum reflektierenden Rückblick reicht die Palette der filmischen Auseinandersetzung mit diesen Ereignissen, die die deutsche Nachkriegsgeschichte prägten.

1962 erklärten junge Filmemacher im Oberhausener Manifest den Tod von "Papas Kino". Gesellschaftliche und filmische Entwicklung sind nicht voneinander zu trennen, spiegelt sich doch im filmischen Aufbruch der gesellschaftliche – und umgekehrt. Schon 1964 erhob in Jean Marie Straubs "Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" eine Frau die Waffe gegen den Mann, der im Dritten Reich ihren Sohn denunziert hatte und nun in der BRD Karriere machte.

Nach dem Tod Benno Ohnesorgs bei einer Demonstration gegen den Schah-Besuch am 2. Juni 1967 eskalierte die Situation. Während die einen unter dem Schlagwort "Gewalt gegen Sachen" ab 1968 mit Anschlägen auf Kaufhäuser und ab 1972 gegen US-Militäreinrichtungen gegen Kapitalismus und Vietnamkrieg protestierten und sich 1970 in der Stadtguerilla RAF formierten, griffen Harun Farocki und Holger Meins mit Filmen die gesellschaftspolitschen Verhältnisse an. In "Die Worte des Vorsitzenden" (1967) treibt beispielsweise ein aus einer Seite der so genannten "Mao-Bibel" gefalteter Papierflieger dem Schah und seiner Gattin das Mittagessen ins Gesicht. Und in "Ihre Zeitungen" (1968) verfolgt Farocki als Guerillakämpfer einen (Springer?)zeitunglesenden Mann durch Hinterhöfe. Mit filmischen Mitteln politische Aktionen zu initiieren versuchte zunächst auch Holger Meins. So soll er mit dem Agitprop-Film "Anleitung zur Herstellung eines Molotow-Cocktails" soll zum Anschlag auf das Springer-Hochhaus in Berlin/West aufgerufen haben. Später schloss er sich bekanntlich der RAF an, wurde 1972 verhaftet und starb 1974 während eines Hungerstreiks in der Justizvollzugsanstalt Wittlich.

Neben diesen offen kämpferischen Filmen provozierten May Spiels ("Zur Sache, Schätzchen", 1968), Rudolf Thome („Rote Sonne“, 1969) oder Klaus Lembke („Brandstifter“, 1969) durch lustvolle Untergrabung der Autoritäten.

Während der Kampf auf der Straße sich radikalisierte, war der Schwung der filmischen Protestbewegung Anfang der 70er Jahre aber dahin. Pessimistisch wurde das gesellschaftliche Klima kritisiert. In der Heinrich Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) greift Volker Schlöndorff scharf Boulevardpresse und Terroristen-Hysterie an und in "Das zweite Erwachen der Christa Klages" (1977) zeichnet Margarethe von Trotta eine junge Bankräuberin als Idealistin auf einem Irrweg. Nicht nur mit diesen Filmen, sondern auch mit Reinhard Hauffs "Messer im Kopf" (1978), in dem ein als Terrorist verdächtigter Wissenschaftler eskalierende Polizeimaßnahmen und gesellschaftliche Hysterie erfahren musste, wollten die Regisseure laut Schlöndorff "irgendwie eine Gegenöffentlichkeit angesichts der in unseren Augen gleichgeschalteten Medien schaffen; wo wir das Gefühl hatten, alle sind jetzt auf dem Level der Springer-Presse angekommen, und man muss eine andere Stimme erheben."

Am Konkretesten und Unmittelbarsten auf die Ereignisse vom Herbst 1977 reagierte ein Kollektiv von 10 Regisseuren (darunter Alexander Kluge, Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff) mit dem Episodenfilm "Deutschland im Herbst" (1977/78). Während darin mit einem breiten Spektrum filmischer Ansätze die psychische und weltanschauliche Stimmung in Deutschland reflektiert wird, zeigt Fassbinder, von dem auch der Satz stammt "Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme!" in der schwarzen Komödie "Die dritte Generation" (1978) die Terroristen als unbewusste Handlanger eines Industriellen. Konkret mit dem Terror, den Protagonisten und ihren Aktionen setzte man sich in dieser Zeit aber noch nicht auseinander. Auch Margarethe von Trotta gab in ihrem Psychodrama "Die bleierne Zeit" (1981) den ungleichen Schwestern fiktive Namen, obwohl unübersehbar war, dass damit Gudrun und Christiane Ensslin gemeint waren.

Dies änderte sich erst 1985 mit "Stammheim", in dem Reinhard Hauff den Prozess in Stuttgart-Stammheim gegen die führenden Mitglieder der "Baader-Meinhof-Gruppe" rekonstruierte. Erzählten die Filme der 70er Jahre aus der Täterperspektive und ließ Hauff in "Stammheim" die Positionen von Staat und seinen radikalen Gegnern kühl und neutral aufeinander prallen, so lässt sich im Dokudrama "Todesspiel" (1997), das Heinrich Breloer anlässlich des 20. Jahrestages des "Deutschen Herbstes", drehte ein Perspektivenwechsel feststellen. Im Mittelpunkt stehen nicht mehr die Terroristen, sondern die Akteure auf staatlicher Seite.

Meisterhaft parallel geschaltet werden Täter und Opfer schließlich in Andres Veiels Dokumentarfilm "Black Box BRD", der die Biographien des Terroristen Wolfgang Grams und des Deutsche-Bank-Vorstandssprechers Alfred Herrhausen, der 1989 einem Anschlag zum Opfer fiel, einander gegenüber stellt. Und Christopher Roth erzählt in seinem umstrittenen "Baader" (2001) auf sehr eigenwillige Weise die Geschichte Andreas Baaders, der hier zu einer Ikone der Popkultur stilisiert wird.

Neben den historischen Ereignissen rücken aber auch stärker die bis heute anhaltenden Folgen für die damaligen Täter in den Mittelpunkt. Volker Schlöndorff erzählt in "Die Stille nach dem Schuss" (2000) die Bemühungen von einer an Inge Viett angelehnten Terroristin in der DDR ein "normales" Leben zu führen - ein Versuch der durch den Fall der Mauer wieder zunichte gemacht wird. Und Christian Petzold stellt in "Die innere Sicherheit" (2000) das Leben eines Paares, das einmal zu den Terroristen gehörte, und ihrer Tochter wie das von Gespenstern dar: Einmal in die Illegalität abgetaucht, bleiben sie lebenslang ausserhalb jedes gesellschaftlichen Verbandes im Untergrund und in ständiger Angst vor Entdeckung.

Abgeschlossen scheint das Thema damit freilich noch lange nicht. Denn während der Produzent Bernd Eichinger unter der Regie von Uli Edel mit Starbesetzung (Bruno Ganz, Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck) Stefan Austs Bestseller "Der Baader Meinhof Komplex" verfilmen lässt, arbeitet Andres Veiel an "Vesper, Ensslin, Baader". In dieser Verfilmung von Gerd Koenens gleichnamigem Buch will Veiel die scheinbar bekannte Geschichte komplett neu erzählen und zu den Wurzeln und Anfängen der RAF vordringen.