Ich hätte Künstlerin werden können

Im Kabinett des Kunst(Zeug)Hauses wird zum ersten Mal das Werk der Künstlerin Adriana Mafalda Grass‐Marques (1928–2012) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit der Mezzanin Stiftung für Kunst entstanden, in deren Sammlung die Künstlerin ihren Nachlass gelegt hat. Gezeigt werden vor allem Collagen aus den 1960er und 1970er Jahren, die eng mit der Biografie der Künstlerin verknüpft sind. Die Formate erlaubten ein Arbeiten am Küchentisch und thematisieren unter anderem das Spannungsfeld in dem sie sich als Künstlerin, Ehefrau, berufstätige Mutter und Hausfrau bewegte.

Grass suchte im künstlerischen Ausdruck den Dialog mit dem Betrachter. Zeichnung, Collage und Fotografie bilden komplementär mit den sprachlichen Wort‐ und Textschöpfungen eine Einheit. Diese Assoziationen zu wichtigen Lebensmomenten und Gefühlsstimmungen können von den Betrachtern unabhängig von biographischen Kenntnissen über die Künstlerin interpretiert werden. In der Ausstellung ist auch die von der Künstlerin geschaffene
Originalvorlage zu "Quattro passi fra le nuvole" (Vier Schritte in den Wolken) in der Vitrine ausgelegt, ein kleines Buch mit Texten, Zeichnungen und Collagen. In diesen kurzen Texten und Werktiteln erweist sich Adriana Grass auch als Sprachkünstlerin. Sie hat das Werk ihrem Mann gewidmet, konnte es aber aus finanziellen Gründen nicht drucken.

Die Mezzanin Stiftung für Kunst hat diese Vorlage als Faksimile in einer neuerscheinenden, zweibändigen Publikation herausgeben, die sich dem Leben und Werk von Adriana Mafalda Grass‐Marques widmet. Autor ist der Bündner Kulturwissenschaftler Chasper Pult.

Die in Poschiavo und Scuol aufgewachsene Adriana Marques heiratete 1955 Paul Grass aus Pontresina, einen Mitstudenten an der Kunstgewerbeschule in Zürich. Während vier Sommern waren sie in den 1950er Jahren als Hüttenwarte der Georgy‐Hütte auf dem Piz Languard tätig. Anschliessend war er als freischaffender Künstler in Zürich tätig, während sie für den Familienunterhalt mit den zwei Kindern verantwortlich war. Schon zu jener Zeit entstanden erste Farbstiftzeichnungen. Später widmete sich die Künstlerin immer mehr den Collagen, in denen sie oft den bildnerischen Ausdruck auch mit ihren drei "Muttersprachen" Italienisch, Romanisch und Deutsch verband.

Erst bei der künstlerischen Gestaltung am Neubau der Bündner Frauenschule entdeckte die Öffentlichkeit diese Künstlerin, deren Werk zeitlebens ein Schattendasein geführt hatte. 1997 erhielt sie den Anerkennungspreis des Kantons Graubünden. Adriana Grass hat einmal gesagt: "La vita è affascinante, ma non facile". Das Fehlen eines Freiheitsraums, vielleicht auch mangelnde Unterstützung und Ansporn verunmöglichten eine frühere Anerkennung ihres künstlerischen Werkes.

Die Künstlerin kann die Eröffnung ihrer ersten öffentlichen Ausstellung im Kunst(Zeug)Haus und die Buchpräsentationen nicht mehr erleben. Sie starb am 22. Mai 2012 im Alter von 84 Jahren.

Adriana Mafalda Grass–Marques
17. Juni bis 7. Oktober 2012