Homosexualität im Film

21. Januar 2008 Walter Gasperi
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Wie in der Gesellschaft, so hat sich auch im Film die Darstellung und Sichtweise von gleichgeschlechtlicher Liebe in den letzten 90 Jahren deutlich gewandelt. Bis Filme mit solcher Unbekümmertheit und Selbstverständlichkeit wie die aktuellen Produktionen von gleichgeschlechtlicher Liebe erzählen durften oder konnten, war es aber ein langer Weg. Noch Anfang der 1980er Jahre konnte Vito Russo in "Die schwule Traumfabrik" mit Recht behaupten "Die große Lüge über Lesben und Schwule ist, dass wir nicht existieren".

Als erster Film über Homosexualität (1) gilt Richard Oswalds 1919 entstandener "Anders als die anderen", bei dem der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld als wissenschaftlicher Berater fungierte. In diesem Film fällt ein Geigenspieler (Conrad Veidt) durch seine homosexuellen Neigungen in die Hände eines Erpressers und nimmt sich aus Angst vor dem Gesetz und der öffentlichen Schande das Leben. Intention dieses "Sozialhygienischen Filmwerks" (Untertitel des Films) war es, die Zuschauer aufzurütteln und in die Diskussion um die Legalisierung von Homosexualität einzugreifen. Die Spielhandlung wird dabei mit wissenschaftlichem Vortrag vermischt und Hirschfeld drückt in den Schlussworten die Hoffnung aus, dass in Zukunft solche Tragödien durch eine Reform beziehungsweise Abschaffung des § 175 (Kriminalisierung der Homosexualität)(2) verhindert werden können.

Während die Thematik bei Oswalds Film offen zu Tage liegt, gestaltet sich der Fall bei Leontine Sagans Internatsdrama "Mädchen in Uniform" (1931) deutlich schwieriger. Trotz Dialogzeilen wie "Was sie Sünde nennen, Frau Rektorin, nenne ich den großen Geist der Liebe, die tausend Formen hat" wird das Thema des Films in den vor 1980 entstandenen Standardwerken zur Filmgeschichte (3) als "Pubertätskonflikt einer Schülerin, die von schwärmerischer Zuneigung zu ihrer Lehrerin ergriffen wird" (Gregor, S. 142) oder "als lesbisch mißverstandene Beziehung zwischen einer besonders sensiblen Schülerin und einer Lehrerin" (Buchers Enzyklopädie, S. 480) beschrieben. Die in den 1990er Jahren entstandene filmwissenschaftliche Literatur wie die 1993 erschienene "Geschichte des deutschen Films" sieht in diesem Film dagegen "einen feministischen und lesbischen Kultfilm" (S. 465), in dem "gleichgeschlechtliche Liebe und Rebellion gegen das repressiv-autoritäre preußische Erziehungssystem ... in eins gesetzt werden" (S. 95)(4).

In den prüden USA wurde durch den Anfang der 30er Jahre in Kraft getretenen und bis 1961 gültigen Hays-Code rigoros jede Darstellung von Homosexualität unterdrückt (5). Zumindest bis in die 70er Jahre ist gleichgeschlechtliche Liebe kein Thema für das US-Kino. Unterschwellig floss sie aber dennoch in zahlreiche Werke ein und in der Schwulenszene gilt ausgerechnet der Kinderfilmklassiker "The Wizard of Oz" (1939) von Victor Fleming als Musterbeispiel des homosexuellen Films. Judy Garland wurde damit zur Ikone der Lesben- und Schwulenbewegung, das Titellied "Over the Rainbow" zu ihrer Hymne und der Regenbogen zu ihrem Symbol.

Mit welchen Qualen die Verdrängung für homosexuelle Künstler aber verbunden war, kann man in "Gods and Monsters" (1999), Bill Condons berührendem Porträt des Regisseurs James Whale (1889-1957) sehen. Whale, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte, durfte davon in seinen Filmen nicht erzählen. In seinen Figuren aber, vor allem in Frankensteins Monster ("Frankenstein", 1931; "The Bride of Frankenstein", 1935) sah er sein Alter Ego. Nicht als Ungeheuer stellte Boris Karloff diesen künstlichen Menschen dar, sondern als Ausgestoßenen mit einer grenzenlosen Sehnsucht nach Liebe und sozialem Kontakt. Wie die Gesellschaft das Monster, so stieß auch Hollywood Whale aus, der zwischen 1941 und seinem mysteriösen Tod 1957 keinen Film mehr drehen konnte.

So finden sich nur in kleinen Details, die Möglichkeiten zu Spekulationen bieten, diese aber nicht zwingend fordern, Hinweise auf homosexuelle Figuren im Hollywood-Kino der 40er und 50er Jahre. Outen sich zum Beispiel die weiblichen Hauptfiguren in Fritz Langs "The Blue Gardenia" (1952) oder "The Big Heat" (1953), wenn sie sich schwesterlich grüßen ("We are sisters under the mink") als Lesben oder verstecken sich solche in den dominanten "Hosenrollen" der Stars Joan Crawford ("Johnny Guitar"; Regie: Nicholas Ray, 1954) oder Barbara Stanwyck ("Forty Guns"; Regie: Sam Fuller, 1957)? Beide Schauspielerinnen gehörten damals zu den großen Vorbildern der US-Lesben und genossen ein ähnliches Image wie heute Jodie Foster und Sigourney Weaver.

Wie rigide die Hollywood-Studios in den 1950er Jahren in Bezug auf die Darstellung von Homosexualität waren, lässt sich an der Verfilmung zweier Werke des homosexuellen Dramatikers Tennessee Williams zeigen. Für die Filmversion von "The Cat on the Hot Tin Roof" (1955) musste Richard Brooks alle Hinweise auf die Homosexualität Bricks (Paul Newman) aus der Vorlage entfernen, sodass unklar bleibt, wieso er mit seiner Frau (Elizabeth Taylor) nicht mehr schlafen möchte. In Joseph Mankiewicz Adaption von "Suddenly Last Summer"(1960) wiederum wurde die Rolle des schwulen Montgomery Clift zugunsten von Elizabeth Taylor in den Hintergrund gedrängt und der Stoff wurde in ein "kannibalistisches Sebastians-Martyrium umgedeutet", das "bei vielen Kinobesuchern alte Vorurteile bestätigte"(6).

Noch 1961 reagierte "Time" auf den britischen Schwulenfilm "Victim" ("Teufelskreis"), der sich für eine Legalisierung der Homosexualität einsetzte, mit einer vernichtenden Kritik und urteilte: "Homosexualität ist eine Neurose..., die die biologische Grundlage des Lebens angreift" (7)und aus David Leans Monumentalfilm "Lawrence of Arabia" (1962) wurden alle Hinweise auf die Homosexualität der Hauptfigur entfernt.

Lesben finden sich dagegen im US-Kino der 60er Jahre. Nie wird aber ihre Liebesgeschichte erzählt, sondern nur die Reaktion der Gesellschaft auf ihre als abnorm dargestellten Gefühle. Der Routinier William Wyler verfilmte 1961 nach 1936 ein zweites Mal Lilian Hellmans Stück "The Children"s Hour" ("Infam"). Diese Neufassung kritisierte zwar direkter und schärfer den Umgang der Gesellschaft mit dem Individuum, aber nicht die lesbische Beziehung zweier Lehrerinnen (Audrey Hepburn und Shirley Maclaine) eines angesehenen Internats interessierte Wyler, sondern wie Vorurteile den Ruf einer Institution und von Personen zugrunde richten können. Unter dem psychischen Druck begeht die von Shirley MacLaine gespielte Hauptfigur in diesem "atemberaubend grausamen Film über den "Fluch", lesbisch zu sein" (8) am Ende Selbstmord. Shirley Maclaine bezeichnete diesen Film als die größte Enttäuschung ihrer Filmkarriere, "da es nicht möglich war, während der Dreharbeiten offen über das Lesbischsein zu reden und William Wyler soviel Angst vor der Zensur hatte, dass er nicht bereit war, die Beziehung der beiden Freundinnen von Anfang an positiver und zärtlicher zu zeigen" (9). In Robert Rossens "Lilith" (1964) dagegen erscheint die lesbische Einstellung der psychisch labilen Hauptfigur als vorübergehende geistige Verwirrung. Nicht gleichgeschlechtliche Liebe, sondern der Umgang mit Außenseitern der Gesellschaft und die Thematisierung der Bezeichnung "verrückt" stehen im Zentrum von Rossens Film.

Mehr Offenheit war bis zu Beginn der 70er Jahre nur im Underground möglich. In Kenneth Angers 15-minütigem "Fireworks" (1947) träumt ein junger Homosexueller, von einer Gruppe von Matrosen zusammengeschlagen zu werden, wobei auf dem Höhepunkt des Rituals statt eines Samenergusses ein Feuerwerk aus dem Penis schießt. Drei Jahre später entstand Jean Genets "Un Chant d"Amour", in dem ein Gefängnisaufseher fasziniert die nackten Gefangenen und ihre Penisse bestaunt. Fast 20 Jahre lang lag Genets semidokumentarisches (die Gefangenen spielen sich selbst) Filmgedicht auf Schönheit, Einsamkeit und Frustration der Homosexualität in den Archiven, bevor es durch den Erfolg des Theaterstücks "Der Balkon" in den 70er und des Films "Querelle" in den 80er Jahren salonfähig wurde. (10)

Eine Änderung brachten die 68er-Bewegung und in den USA die Ereignisse um Stonewall (11). Vorreiterfunktion hatte der vom jungen William Friedkin gedrehte "The Boys in the Band" ("Die Harten und die Zarten"; 1969/70), in dem nur Schwule auftauchen, deren Gefühle und Komplexe im Verlauf einer schrillen Party hervorbrechen, und das exzentrische Musical "The Rocky Horror Picture Show" (1975) stellt zumindest bis in die 90er Jahre den einzigen von Hollywood produzierten Film dar, der vollkommen unverkrampft mit Homosexualität umgeht.

In Deutschland trat Rosa von Praunheim als Vorkämpfer für die Schwulen auf. In seinem Klassiker "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt" (1970) zeigte Praunheim den Werdegang eines Schwulen und schockierte durch die kompromisslose Darstellung des Milieus. Aber auch Luchino Visconti erzählte in seiner Deutschen Trilogie ("La caduta degli dei" / "Die Verdammten", 1968; "Morte a Venezia", 1970; "Ludwig", 1972) ganz offen von Homosexualität, und Aschenbach - die Hauptfigur in "Morte a Venezia" -, der seine Empfindungen für den betörenden Tadzio nicht ausleben konnte, wurde zum Sinnbild von Homosexuellen-Generationen. Aufsehen erregte auch Wolfgang Petersen mit seinem Fernsehfilm "Die Konsequenz" (1977). Bei der TV-Ausstrahlung dieser schwulen Liebesgeschichte blendete sich der Bayrische Rundfunk unter fadenscheinigen Begründungen aus der ARD aus.

Hollywood wiederum springt spätestens seit den 1980er Jahren auf jeden Trend auf, der nur einigermaßen kommerziell erfolgversprechend scheint. Wie bei "French Connection" (1971) oder "The Exorcist" (1973) war William Friedkin auch bei dem 1980 entstandenen und von der Schwulenbewegung heftig bekämpften Thriller "Cruising" nur an spekulativem Sensationskino, nicht aber an der Sache der Homosexuellen interessiert. Die gewalttätige Schwulenszene bot Friedkin lediglich den Hintergrund für Al Pacinos Jagd auf einen psychopathischen Killer.

Eine ganz normale homosexuelle Liebesgeschichte mit Zungenküssen und Bettszenen fand man damals im Hollywood-Kino noch nicht, und auch Blake Edwards und Sidney Pollack benutzten in "Victor/Victoria" (1981) beziehungsweise in "Tootsie" (1982) Schwule und das Schwulsein nur als wichtige Ingredienzen für ihre schmissigen Komödien.

Fast gleichzeitig schilderte dagegen der Independent-Regisseur John Sayles in "Lianna" (1981) unspektakulär, aber bewegend die Emanzipation einer Frau zur bekennenden Lesbe und vier Jahre später gewannen Robert Epstein und Richard Schmiechen für ihr Porträt eines Stadtrats von San Francisco, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte und für die Rechte der Schwulen eintrat ("The Times of Harvey Milk", 1984) einen Oscar für den besten Dokumentarfilm.

Auch in Europa eroberten in den 80er Jahren die Schwulen endlich die Leinwand. In England erzählte Stephen Frears in "My Beautiful Laundrette" (1985) oder "Prick up your Ears" (1987) realistisch homosexuelle Love-Stories und Derek Jarman widmete sich nicht nur in "Caravaggio" (1986) und "The Garden" (1990) den Themenkreisen Kunst und Homosexualität.

In Frankreich ließ Patrice Chereau seinen verführten oder verletzten jungen Mann ("L´Homme blessé", 1983) auf den Strich gehen und Bertrand Blier inszenierte mit Michel Blanc, Gerard Depardieu und Miou-Miou einen radikalen Liebesfilm über eine Dreierbeziehung ("Tenue de Soiree" / "Abendanzug", 1986). David Bowie durfte in "Furyo" (1983) des Japaners Nagisa Oshima seine homoerotischen Neigungen zeigen und Homo- und Transsexualität gehören immer wieder zu den Themen der grellen Melodramen des Spaniers Pedro Almodovar ("Das Gesetz der Begierde",1986; "Alles über meine Mutter", 1999).

Aber erst mit Jonathan Demmes "Philadelphia" (1993) fand das Thema Homosexualität Eingang in das große Kommerz-Kino und scheint seit den (späten) 90er Jahren weltweit für Filmregisseure kein Tabu mehr zu sein, thematisiert und kritisiert wird vielmehr häufig die immer noch vorhandene Tabuisierung und Diskriminierung der gleichgeschlechtlichen Liebe durch die Gesellschaft. Der Taiwanese Ang Lee erzählt davon in "Das Hochzeitsbankett" (1993) ebenso wie der Hongkong-Chinese Wong Kar-Wei in "Happy Together" (1997) und sogar der Festlandchinese Zhang Yan wagte sich - wenn auch von der Regierung mehr behindert als unterstützt - in "East Palace, West Palace" (1996) an dieses Thema. Von lesbischer Liebe in Indien erzählt Deepa Mehta in "Fire" (1996) und Sandi Simcha DuBowski porträtiert in "Trembling Before GD" (2001) homosexuelle orthodoxe Juden.

Wie selbstverständlich von gleichgeschlechtlicher Liebe im europäischen und amerikanischen Kino inzwischen erzählt wird, belegen Filme wie "Aimee und Jaguar" (R: Max Färberböck; D, 1998), "Drole de Felix" (R: Jacques Martineau/Olivier Ducastel; F, 1999), "Get Real" (R: Simon Shore, GB, 1998) oder "High Art" (R.: Lisa Cholodenko, USA, 1998).

Was bis in die 1990er Jahre fest in heterosexuellen Händen war, nämlich ein am Mainstream orientiertes unterhaltsames Kino, in dem es um Sex und Romantik geht, um das Lebensgefühl einer Gruppe von engen Freunden und deren pointierte Gespräche über Beziehungen, hat sich inzwischen auch das Gay-Cinema angeeignet. – In Filmen wie "But I"m a Cheerleader" (USA 1999) von Jamie Babbit und "Fucking Amal" (Schweden 1999) von Lukas Moodysson steht nicht mehr die Homosexualität zur Diskussion, sondern eine bornierte und gleichmacherische Gesellschaft, die gegen die gleichgeschlechtliche Liebe mobil macht.

Verweise:

  1. Huber, Hermann J., Gewalt und Leidenschaft. Das Lexikon Homosexualität in Film und Video. Mit Beiträgen von Michael Höfner, Gmünder, Berlin, 1989, S. 6

  2. Tatsächlich wurde dieser Paragraph des Strafgesetzbuches aber 1935 von den Nationalsozialisten noch verschärft und blieb in dieser Fassung dann bis 1969 in Kraft. Erst in diesem Jahr fiel die Kriminalisierung der "widernatürlichen Unzucht" unter Männern über 21 Jahren. 1973 wurde die Strafbarkeit auf homosexuelle Kontakte mit Männern unter 18 Jahren beschränkt und erst 1994 wurde der Paragraph völlig gestrichen und dem Sexualstrafrecht der Heterosexuellen angepasst.

  3. Gregor, Ulrich; Patalas, Enno, Geschichte des Films. Bd. 1, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1982 (Originalausgabe 1973), S. 142; Buchers Enzyklopädie des Films, Bucher, Luzern u.a., 1977, S. 480; Krusche, Dieter, Reclams Filmführer, Reclam, Stuttgart, 1973, S. 413 - Die inzwischen 11 Neuauflagen dieses Werks sind nur Erweiterungen, die Filmbeschreibungen wurden wörtlich von der ersten Auflage übernommen.

  4. Geschichte des deutschen Films, Metzler, Stuttgart 1993; vgl. auch: Sobek, Daniela, Lexikon lesbischer Frauen im Film, belleville, München, 2000, S. 187 f.

  5. "Der Code beschrieb detailgenau die Grenzen, die bei der Abbildung sexuellen, sozialen und kriminellen Verhaltens nicht überschritten werden durften ...Gemäß dem Code sollten Kriminelle, Ehebrecher und andere Übeltäter nicht die Früchte ihrer Missetaten genießen dürfen. Familienleben war als Bollwerk des Guten darzustellen, religiöse und ethnische Minderheiten durften nicht verletzt werden" - Buchers, S. 882

  6. Huber, Hermann J., S.145

  7. Ebd., S.141

  8. Sobek, Daniela, S. 86

  9. Ebd., S. 86f.

  10. Huber, Hermann J., S. 41

  11. Nach Übergriffen der Polizei in der New Yorker Schwulen-Bar "Stonewall Inn" (Sommer 1969) kam es zu Demonstrationen und Straßenschlachten (Christopher Street Day). Stonewall gilt als der Beginn einer schwulen und lesbischen Bürgerrechtsbewegung.