Hollywoodkino auf der Piazza, Autorenfilme in den Wettbewerben

Einerseits mehr große Hollywoodfilme wie Robert Rodriguez´ "Grindhouse – Planet Terror" auf der Piazza Grande, andererseits 15 Weltpremieren, darunter sieben Erstlingsfilme im Wettbewerb wird das 60. Filmfestival von Locarno (1. – 11. 8.) bringen. Mit einem Schweizer Filmtag (7. August) soll wie im letzten Jahr auch heuer wieder speziell auf das eidgenössische Filmschaffen aufmerksam gemacht werden.

Sein erklärtes Ziel das Filmische mehr in den Mittelpunkt zu stellen und gesellschaftspolitisch ausgerichtete Schienen einzuschränken oder aufzulassen setzt Festivaldirektor Frédéric Maire auch in seinem zweiten Amtsjahr fort. Scheiterten in den letzten Jahren die Bestrebungen große US-Filme als Schweizer Vorpremieren auf der Piazza zu präsentieren noch vielfach am Veto der eidgenössischen Verleiher, so bietet sich heuer ein deutlich anderes Bild. Mit Paul Greengrass´ Agententhriller "The Bourne Ultimatum", Adam Shankmans hochkarätig besetztem Musical "Hairspray" und Robert Rodriguez´ "Grindhouse – Planet Terror" werden drei in den Medien schon lancierte US-Filme auf der 7000 Zuschauer fassenden Freilichtbühne gezeigt.

Publikumsorientierung kennzeichnet aber auch das weitere Piazzaprogramm vom japanischen Animationsfilm "Vexville", der am 1. August das Festival eröffnen wird, über Frank Oz´ Komödie "Death at a Funeral" bis zu Mikael Hafstroms Stephen King-Adaption "1408". Ein Crowd Pleaser könnte auch Lech Kowalskis Dokumentarfilm über das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 sein ("Winners and Losers").

Daneben werden bei den großen Abendvorstellungen auch die gewohnten anderen Akzente gesetzt. So wird anlässlich der Verleihung des Ehrenleoparden an den Taiwanesen Hou Hsiao Hsien, dessen neuester Film "Flight of the Red Balloon" gezeigt. Nicht fehlen darf auf der Piazza auch ein Film für die zahlreichen deutschen Touristen: Nach "Das Wunder von Bern" und "Das Leben der Anderen" in den letzten Jahren steht heuer Martin Gypkens Adaption von Judith Hermanns "Nichts als Gespenster" auf dem Programm. Und entgegenkommen will man wohl auch der einheimischen Bevölkerung und dem nahen Italien mit "Vogliamo Anche le Rose" von Alina Marazzi. Dass auch die Schweiz im Piazzaprogramm vertreten sein muss, versteht sich fast von selbst: Jacob Bergers "1 Journee" wird am 7. August im Rahmen des Schweizer Filmtages präsentiert.

Für (noch) unbekannte Filmregisseure ist der Internationale Wettbewerb um den Goldenen Leoparden reserviert und filmisch innovative Werke sollen im Parallelwettbewerb der "Cineastes du présent" gezeigt werden. Die Grenzen waren hier im letzten Jahr fließend. Zu hoffen ist, dass sich diese beiden Programmsparten heuer durch die Filmauswahl stärker voneinander unterscheiden. 19 Filme, davon 15 Weltpremieren und sieben Erstlingswerke haben Frédéric Maire und sein Team für den Hauptwettbewerb ausgewählt. Die Amerikaner spielen hier im Gegensatz zum Piazzaprogramm mit zwei Produktionen eher eine Nebenrolle, stellen aber mit "Slipstream" den Film, der mit "Hannibal Lecter" Anthony Hopkins – hier als Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler am Werk - den wohl bekanntesten Namen aufweist. Keine unbeschriebenen Blätter sind auch der Japaner Masahiro Kobayashi ("The Rebirth") und der Kurde Hiner Saleem ("Sous les toits de Paris"), die beide in den letzten Jahren schon Filme in den Wettbewerben von Cannes und Venedig hatten.

Die Schweiz steuert Fulivo Bernasconis im Boxermilieu angesiedeltes Drama "Fuori dalle corde" bei, Österreich Peter Payers "Freigesprochen", in dem Ödön von Horvaths Drama "Der jüngste Tag" in die Gegenwart verlegt wird. Insgesamt fällt in dieser Programmsparte die starke Europalastigkeit auf: Afrika und Lateinamerika sind jeweils nur mit einer Koproduktion vertreten, Asien nur mit einem japanischen und einem koreanischen Film. Aus Osteuropa wurde einzig ein rumänischer Film ("Restul e tacere" von Nae Caranfil) selektioniert.

Radikaleres Kino sollte die Sektion "Cineastes du présent“ bieten. Auch hier dominieren eher unbekannte Namen, aber der Ungar Benedek Fliegauf, der mit "Milky Way" vertreten ist, hat immerhin schon vor drei Jahren bei der Berlinale mit dem Drogendrama "Dealer" Aufsehen erregt, und die Amerikanerin Nina Menkes ("Phantom Love") ist seit ihrem Dokumentarfilm "Massaker" ebenso keine Unbekannte mehr wie der Chilene Matias Bize ("Lo bueno de llorar") seit "En la cama". Auch in dieser Programmschiene fällt aber die Fokussierung auf Europa, das 10 der 19 Filme stellt, auf.

Neben der neuen Reihe "Ici et ailleurs" wird in der "Appellations Suisse" wie gewohnt Einblick in das aktuelle Schweizer Filmschaffen geboten und der Verband der Schweizer Filmjournalisten präsentiert in der "Semaine de la critique" wiederum sieben formal ungewöhnliche Dokumentarfilme.

Ein wichtiger Bestandteil des Tessiner Festivals, für manche Besucher sogar der wichtigste, ist die alljährliche Retrospektive. Anlässlich des 60. Geburtstages des 1946 erstmals veranstalteten Festivals gibt’s sogar zwei. Auf der einen Seite wird mit unter dem Titel "Back in Locarno" mit bedeutenden Siegerfilmen aus vergangenen Jahren in die Geschichte des Festivals und auf Regisseure, deren Karriere in Locarno startete, zurück geblickt. Andererseits werden unter dem Titel "Signore & Signore" mit 19 Filmen die großen Diven des italienischen Films von Gina Lollobrigida über Sophia Loren und Ornella Muti bis Monica Bellucci gefeiert.